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Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Titel: Heidi und andere klassische Kindergeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Spyri
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sonst recht vernünftig rede, meine, kein Mensch könne ihr so gut in allem beistehen, wie dieses Stineli. Er müsse es gut kennen, und wenn es so sei, wie er es beschreibe, so könnte es auch noch eine Rettung sein für so ein Mädchen, wenn es von da droben wegkomme; aber da wüßte sie ja von keinem Menschen, der ihr einen solchen Dienst tun würde.
    Der Herr Pfarrer hatte ganz ernsthaft zugehört und kein Wort gesagt, bis die Frau Menotti fertig war. Er hätte auch nicht gut dazwischenkommen können mit Worten, denn sie hatte ihr Herz lange nicht ausgeschüttet und es war ihr so voll geworden, daß Frau Menotti bei dem großen Andrang der Worte fast um den Atem gekommen war.
    Als nun alles still war, nahm der Herr Pfarrer erst ganz ruhig noch eine Prise zu der vorhergehenden; dann sagte er gelassen:
    »Hm, hm, Frau Menotti, ich glaube fast, Ihr habt von den Leuten da droben eine Meinung, die fast erschrecklich ist; es gibt doch auch noch Christen da, und seit man so allerhand Mittel erfunden hat, um weiter zu kommen, wird es auch noch möglich sein, daß einer ohne Gefahr dort hinaufkommt. Das wird man etwa in Erfahrung bringen können, man muß sich besinnen.«
    Hier mußte der Herr Pfarrer sich erst wieder ein wenig stärken aus seiner Dose, dann fügte er bei: »Es gibt allerlei Händler, die von da oben herunter nach Bergamo kommen, Schafhändler und Roßhändler, die müssen die Wege wissen. Man kann sich erkundigen und dann muß man sich bestimmen; es wird etwa ein Mittel gefunden werden. Wenn Euch viel dran liegt, Frau Menotti, so will ich mich etwa umsehen; ich komme alle Jahre ein-oder zweimal nach Bergamo, so könnte ich die Sache ein wenig in die Hand nehmen.«
    Frau Menotti war von solcher Dankbarkeit, daß sie gar nicht wußte, wie sie diese dem Herrn Pfarrer ausdrücken sollte. Mit einem Male waren ihr alle die schweren Gedanken abgenommen, die sie so viele Tage und Nächte lang verfolgt hatten, und in die sie sich immer mehr verwickelt hatte, je mehr sie sich damit abgab, so daß sie keinen Ausweg mehr vor sich gesehen hatte. Nun hatte der Herr Pfarrer die ganze Last auf sich genommen, und sie konnte den Silvio von nun an auf ihn verweisen.
    Silvio hatte das ganze Gespräch über mit seinen grauen Augen den Herrn Pfarrer fast durchbohrt vor Spannung. Als dieser nun aufstand und dem Kleinen die Hand zum Abschied bot, patschte Silvio die seinige ganz gewaltig hinein, so als wollte er sagen: diesmal gilt’s mir! Der Herr Pfarrer versprach, Bericht zu geben, sobald er seine Erkundigungen eingezogen hätte und wüßte, ob die Sache ausführbar wäre, oder ob Silvio von seinem Begehren abstehen müsse.
    Nun vergingen die Wochen eine nach der anderen, aber der Silvio hielt sich gut. Er hatte eine bestimmte Hoffnung vor Augen, und dazu war der Rico auf einmal sounterhaltend und lebendig geworden, wie noch nie. In den war es gefahren wie ein zündender Freudenfunke, als er den Ausspruch des Herrn Pfarrers vernommen hatte, und seither war ein neues Leben in ihm. Er wußte dem Silvio mehr zu erzählen als je, und nahm er seine Geige zur Hand, so kamen so herzerquickende Töne und Weisen daraus hervor, daß die Frau Menotti gar nicht mehr aus dem Zimmer weg mochte und sich nicht genug verwundern konnte, woher der Rico das alles nahm.
    Rico hatte auch nur in dieser Stube rechte Freude an seiner Geige; in dem weiten, hohen Raum tönte es so schön und da war es so still und luftig, da war kein Tabaksqualm und kein Menschentumult, und er mußte nicht bei den Tänzen bleiben, sondern konnte spielen, was ihn freute. Mit jedem Tage kam auch Rico lieber in das Haus, und oft, wenn er eintrat, dachte er: so ist es wohl einem zumute, der heimkommt. Aber er war ja doch nicht daheim, er durfte nur für ein paar Stunden kommen und mußte immer wieder gehen.
    In der letzten Zeit war aber etwas in den Rico gefahren, das die Wirtin manchmal in große Verwunderung setzte. Wenn sie etwa das schmutzige, zerbrochene Abfallbecken vor ihn hinstellte und sagte: »Da, Rico, bring es den Hühnern!« – so stellte er sich etwas auf die Seite und legte die Hände auf den Rücken, zum Zeichen, daß er das Becken nicht berühren möge, und sagte ruhig: »Ich wollte lieber, das täte jemand anders!«
    Und wenn sie die alten Schuhe hervorbrachte und Rico in die Hand geben wollte, daß er sie zum Schuhflicker hintrage, so tat Rico wieder desgleichen und sagte: »Ich wollte lieber, es ginge ein anderer.«
    Die Wirtin aber war eine kluge

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