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Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Titel: Heidi und andere klassische Kindergeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Spyri
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wüster.«
    Eben wollte das Rikli mit klagendem Geschrei die vergleichende Dichtung beantworten, als die Tante sich umkehrte und es bei der Hand nahm.
    »Nein, Rikli, heute nicht mehr«, sagte sie bestimmt, »und lieber gar nicht wieder! Zeig du dem Fred, daß er völlig unrecht hat mit seiner Vergleichung.«
    Wenn die Mutter nicht, wie so oft geschah, um diese Zeit zum heimgekehrten Vater oder zu Krankenbetten oder zu anderen Hilfsbedürftigen abgerufen wurde, so machte sie die Wanderung zu den oberen Räumen mit, und die Kinder konnten sich dann in Mutter und Tante teilen, um am Schluß des Tages noch alles, was ihnen auf dem Herzen lag, bei der einen oder anderen abzulegen. War aber, wie oft und auch heute, die Mutter abgerufen und die Tante allein zum Begleit da, so hatte sie sehr zu wehren, daß es zu keinem Kampf kam, denn jedes meinte, das andere habe die Tante länger an seinem Bette festgehalten. Heute kam es aber dem Fred auch gar zu arg vor, wie lange erst die Schwestern drüben und nun noch Oskar die Tante für sich behielten, und als sie endlich zu ihm herantrat, sagte er statt aller Mitteilungen: »Am liebsten wollte ich, Tante, man könnte dich in zwei Hälften teilen und dann mit vier multiplizieren, dann gäbe es für jeden zwei Tanten; so käme man doch einmal zu seinem Recht.« Die Tante wollte auch dem Fred sein Recht noch werden lassen, aber schon rief unten die Kathri mit solcher Dringlichkeit nach ihr, daß sie aufbrechen mußte, nicht ohne dem Fred zu versprechen, morgen abend zuallererst an sein Bett zu kommen.

Fünftes Kapitel.
Auf dem Eichenrain.
    ----
    Als der Arzt vom Rhein seinem Freunde in Buchberg geschrieben hatte, er möchte für die kranke Nora eine geeignete Wohnung auf der gesunden Höhe seines Heimatortes auffinden, damit sie den Sommer zu ihrer Stärkung da zubringen könnte, hatte dieser die Sache gleich seiner Frau übergeben, die sofort mit der Tante zu beraten begann. Ihr erster Gedanke war das große Haus des Herrn Bickel gewesen, wo so viele unbewohnte Zimmer sich befanden, und sogleich war die Frau Doktorin hingegangen; aber sie war nicht gut angekommen. Frau Bickel hatte gleich erklärt, das sei ganz unmöglich, daß sie von ihren Zimmern hergeben könnten, die brauchten sie selbst; sie hatte auch kaum ihre Entrüstung verbergen können über ein solches Ansinnen, daß in die Zimmer, wo nie ein Mensch hereinkam, jetzt auf einmal ganz fremde Leute hinein sollten und da wohnen. Die Frau Doktorin hatte sanftmütig gesagt, Frau Bickel möge es ihr nicht übel nehmen, es sei nur eine Anfrage gewesen, es sei eben sehr schwer, eine Wohnung mit mehreren Zimmern zu finden. Frau Bickel hatte sich aber noch lange nicht beruhigen können und nachher noch von Zeit zu Zeit zu Herrn Bickel sagen müssen: »Es nimmt mich nur wunder, was eigentlich auch die Frau Doktorin meint; wir werden wohl unser Haus nicht für andere Leute gebaut haben!« Herr Bickel war auch gleich ihrer Ansicht gewesen und fügte zu diesen Bemerkungen immer bei: »Und dann noch für Leute, von denen man nicht einmal weiß, ob sie nur auch etwas haben, oder gar nichts. Da könnte man schön ankommen!« Der Frau Doktorin war dann auf einmal ein Gedanke gekommen: auf dem Eichenrain stand seit dem Frühjahr ein neues Häuschen fertig, dessen ersten Stock der Bauer bezogen hatte, dem es gehörte; den oberen Stock sollte sein Sohn beziehen, der auf den Herbst seinen eigenen Haushalt gründen wollte; so standen die Zimmer noch leer. Das Haus stand auf der Höhe des Rains und hatte eine wundervolle Aussicht hinüber auf die grünen Hügel mit den Schneebergen dahinter und gegen Abend hinunter auf das rauschende Flüßchen im waldigen Talgrund. Augenblicklich war die Frau Doktorin nach dem Eichenrain hinaufgegangen, und zu ihrer Freude hatte sie in der kürzesten Zeit mit den willigen Bauersleuten alles festgestellt; wenige Tage nachher sahen durch ihre Beisteuer an Betten und Möbeln die sauberen, hellen Stübchen ganz wohnlich und einladend aus und standen zum Empfang der Fremden bereit.
    Jetzt waren schon einige Tage vergangen, seit Frau Stanhope mit ihrem kranken Töchterchen eingezogen war, und nur der Herr Doktor und auch einmal seine Frau waren noch dagewesen, denn Nora war von der Reise so angegriffen, daß sie noch keinen Besuch hatte empfangen dürfen. Aber auf heute war ihr Emmis Besuch von ihrem Vater versprochen worden, und nun saß Nora an dem Fenster, das gegen Abend ging, wo sie immer am liebsten saß. Von

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