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Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Titel: Heidi und andere klassische Kindergeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Spyri
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Doktor, weit schlimmer. Ein Gespenst im Hause, bei mir spukt’s!”
    Der Doktor lachte laut auf.
    “Schöne Teilnahme das, Doktor!”, fuhr Herr Sesemann fort; “schade, dass meine Freundin Rottenmeier sie nicht genießen kann. Sie ist fest überzeugt, dass ein alter Sesemann hier herumrumort und Schauertaten abbüßt.”
    “Wie hat sie ihn aber nur kennen gelernt?”, fragte der Doktor noch immer sehr erheitert.
    Herr Sesemann erzählte nun seinem Freunde den ganzen Vorgang und wie noch jetzt allnächtlich die Haustür geöffnet werde, nach der Angabe der sämtlichen Hausbewohner, und fügte hinzu, um für alle Fälle vorbereitet zu sein, habe er zwei gut geladene Revolver in das Wachtlokal legen lassen; denn entweder sei die Sache ein sehr unerwünschter Scherz, den sich vielleicht irgendein Bekannter der Dienerschaft mache, um die Leute des Hauses in Abwesenheit des Hausherrn zu erschrecken—dann könnte ein kleiner Schrecken, wie ein guter Schuss ins Leere, ihm nicht unheilsam sein—; oder auch es handle sich um Diebe, die auf diese Weise erst den Gedanken an Gespenster aufkommen lassen wollten, um nachher umso sicherer zu sein, dass niemand sich herauswage—in diesem Falle könnte eine gute Waffe auch nicht schaden.
    Während dieser Erklärungen waren die Herren die Treppe hinuntergestiegen und traten in dasselbe Zimmer ein, wo Johann und Sebastian auch gewacht hatten. Auf dem Tische standen einige Flaschen schönen Weines, denn eine kleine Stärkung von Zeit zu Zeit konnte nicht unerwünscht sein, wenn die Nacht da zugebracht werden musste. Daneben lagen die beiden Revolver, und zwei, ein helles Licht verbreitende Armleuchter standen mitten auf dem Tisch, denn so im Halbdunkel wollte Herr Sesemann das Gespenst denn doch nicht erwarten.
    Nun wurde die Tür ans Schloss gelehnt, denn zu viel Licht durfte nicht in den Korridor hinausfließen, es konnte das Gespenst verscheuchen. Jetzt setzten sich die Herren gemütlich in ihre Lehnstühle und fingen an, sich allerlei zu erzählen, nahmen auch hier und da dazwischen einen guten Schluck, und so schlug es zwölf Uhr, eh sie sich’s versahen.
    “Das Gespenst hat uns gewittert und kommt wohl heut gar nicht”, sagte der Doktor jetzt.
    “Nur Geduld, es soll erst um ein Uhr kommen”, entgegnete der Freund.
    Das Gespräch wurde wieder aufgenommen. Es schlug ein Uhr. Ringsum war es völlig still, auch auf den Straßen war aller Lärm verklungen. Auf einmal hob der Doktor den Finger empor.
    “Pst, Sesemann, hörst du nichts?”
    Sie lauschten beide. Leise, aber ganz deutlich hörten sie, wie der Balken zurückgeschoben, dann der Schlüssel zweimal im Schloss umgedreht, jetzt die Tür geöffnet wurde. Herr Sesemann fuhr mit der Hand nach seinem Revolver.
    “Du fürchtest dich doch nicht?”, sagte der Doktor und stand auf.
    “Behutsam ist besser”, flüsterte Herr Sesemann, erfasste mit der
Linken den Armleuchter mit drei Kerzen, mit der Rechten den
Revolver und folgte dem Doktor, der, gleichermaßen mit Leuchter und
Schießgewehr bewaffnet, voranging. Sie traten auf den Korridor
hinaus.
    Durch die weit geöffnete Tür floss ein bleicher Mondschein herein und beleuchtete eine weiße Gestalt, die regungslos auf der Schwelle stand.
    “Wer da?”, donnerte jetzt der Doktor heraus, dass es durch den ganzen Korridor hallte, und beide Herren traten nun mit Lichtern und Waffen an die Gestalt heran. Sie kehrte sich um und tat einen leisen Schrei. Mit bloßen Füßen im weißen Nachtkleidchen stand Heidi da, schaute mit verwirrten Blicken in die hellen Flammen und auf die Waffen und zitterte und bebte wie ein Blättlein im Winde von oben bis unten. Die Herren schauten einander in großem Erstaunen an.
    “Ich glaube wahrhaftig, Sesemann, es ist deine kleine
Wasserträgerin”, sagte der Doktor.
    “Kind, was soll das heißen?”, fragte nun Herr Sesemann. “Was wolltest du tun? Warum bist du hier heruntergekommen?”
    Schneeweiß vor Schrecken stand Heidi vor ihm und sagte fast tonlos:
“Ich weiß nicht.”
    Jetzt trat der Doktor vor: “Sesemann, der Fall gehört in mein Gebiet; geh, setz dich einstweilen in deinen Lehnstuhl drinnen, ich will vor allem das Kind hinbringen, wo es hingehört.”
    Damit legte er seinen Revolver auf den Boden, nahm das zitternde
Kind ganz väterlich bei der Hand und ging mit ihm der Treppe zu.
    “Nicht fürchten, nicht fürchten”, sagte er freundlich im Hinaufsteigen, “nur ganz ruhig sein, da ist gar nichts Schlimmes dabei, nur

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