Heidi und andere klassische Kindergeschichten
der Hütte hinan. Es war dem Heidi so sehr daran gelegen, den Herrn Doktor wieder froh zu machen, daß es ihn noch einmal zu überzeugen anfing, es währe so wenig lange auf der Alm, bis die langen, warmen Sommertage wiederkommen, daß man es kaum merke, und dabei wurde das Heidi selbst so überzeugt von seinem Trost, daß es oben dem Großvater ganz fröhlich entgegenrief:
»Sie sind noch nicht da, aber es währt gar nicht lange, so kommen sie auch.«
Für den Großvater war der Herr Doktor kein Fremder, das Kind hatte ja so viel von ihm gesprochen. Der Alte streckte seinem Gaste die Hand entgegen und bewillkommte ihn mit Herzlichkeit. Dann setzten sich die Männer auf die Bank an der Hütte. Auch für das Heidi wurde da noch ein Plätzchen gemacht, und der Herr Doktor winkte ihm freundlich, daß es neben ihm sitzen solle. Nun fing er an zu erzählen, wie Herr Sesemann ihn ermuntert habe, die Reise zu machen, und wie er auch selbst gefunden, es möchte gut für ihn sein, da er sich seit langem nicht mehr recht frisch und rüstig fühle. Dem Heidi sagte er dann ins Ohr, es werde bald noch etwas den Berg heraufkommen, das aus Frankfurt mit hergereist sei und ihm eine viel größere Freude machen werde als der alte Doktor. Das Heidi war sehr gespannt darauf zu erfahren, was das sein könne. Der Großvater ermunterte den Herrn Doktor sehr, die schönen Herbsttage noch auf der Alm zuzubringen oder wenigstens an jedem schönen Tage heraufzukommen, denn hier oben zu bleiben, dazu konnte ihn der Almöhi nicht einladen, da war ja keine Gelegenheit, den Herrn zu logieren. Er riet aber seinem Gaste, nicht bis nach Ragaz zurückzukehren, sondern unten im Dörfli ein Zimmer zu beziehen, das er im dortigen Wirthause in einer einfachen, aber ganz ordentlichen Art finden werde. So könnte der Herr Doktor jeden Morgen nach der Alm heraufkommen, was ihm wohltun müßte, meinte der Öhi, auch würde er dann gern den Herrn noch auf allerlei Punkte führen, weiter hinauf in die Berge, wo es ihm gefallen sollte. Diesem gefiel der ganze Vorschlag sehr wohl, und es wurde festgesetzt, daß er ausgeführt werden sollte.
Unterdessen war die Sonne in den Mittag gekommen; der Wind hatte sich schon lange gelegt, und die Tannen waren ganz still geworden. Die Luft war für die Höhe noch mild und lieblich und säuselte erfrischende Kühle um die sonnenbeschienene Bank.
Jetzt stand der Almöhi auf und ging in die Hütte hinein, kam aber gleich wieder und brachte einen Tisch heraus, den er vor die Bank hinstellte.
»So, Heidi, nun hol herbei, was wir zum Essen brauchen«, sagte er. »Der Herr muß nun vorlieb nehmen; ist unsere Küche auch einfach, so ist das Eßzimmer doch anständig.«
»Das meine ich auch«, erwiderte der Herr Doktor, indem er auf das sonnenbeleuchtete Tal hinunterschaute, »und die Einladung nehme ich an, hier oben muß es schmecken.«
Das Heidi lief nun hin und her wie ein Wiesel und brachte herbei, was es nur drinnen im Schranke finden konnte, denn daß es den Herrn Doktor bewirten durfte, war ihm eine ungeheure Freude. Der Großvater bereitete unterdessen das Mahl und trat nun heraus mit dem dampfenden Milchkruge und dem goldig glänzenden Käsebraten. Dann schnitt er schöne, durchsichtige Schnitten von dem rosigen Fleisch herunter, das er hier oben an der reinen Luft getrocknet hatte. Dem Herrn Doktor schmeckte sein Mittagsmahl so gut wie das ganze Jahr durch noch kein einziges Mal.
»Ja, ja, hierhin muß unsere Klara kommen«, sagte er jetzt. »Da wird sie zu ganz neuen Kräften gelangen, und wenn sie eine Zeitlang ißt wie ich heute, so wird sie rund und fest werden, wie sie in ihrem Leben noch nie war.«
Jetzt kam von unten herauf einer angestiegen, der hatte einen großen
Ballen auf dem Rücken. Wie er oben bei der Hütte ankam, warf er seine
Last auf den Boden hin und zog ein paar gute Züge von der frischen
Almluft ein.
»Ah, da kommt, was mit mir von Frankfurt hergereist ist«, sagte der
Herr Doktor aufstehend, und das Heidi mit sich ziehend, trat er an den
Ballen hin und fing an, ihn aufzulösen. Als die erste schwere Hülle
weg war, sagte er: »So, Kind, nun fahr weiter fort und hol dir deine
Schätze selbst heraus.«
Das Heidi tat so, und wie nun alles auseinanderrollte, schaute es mit großen, verwunderten Augen auf die Dinge hin. Erst als der Herr Doktor wieder herzutrat und von der großen Schachtel den Deckel weghob, dem Heidi bedeutend: »Sieh, was die Großmutter zum Kaffee bekommt«, da schrie es
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