Heidi und andere klassische Kindergeschichten
auf:
»Oh, Großvater, da ist meine Kammer, o wie schön! Aber wo mußt du schlafen?«
»Deine Kammer muß nahe beim Ofen sein, damit du nicht frierst«, sagte der Großvater, »die meine kannst du auch sehen.«
Das Heidi hüpfte durch die weite Stube dem Großvater nach, der auf der anderen Seite eine Tür aufmachte, die in einen kleinen Raum hineinführte, da hatte der Großvater sein Lager errichtet. Dann kam aber wieder eine Tür. Das Heidi machte sie geschwind auf und stand ganz verwundert still, denn da sah man in eine Art von Küche hinein, die war so ungeheuer groß, wie es noch nie in seinem Leben eine gesehen hatte. Da war viel Arbeit für den Großvater gewesen, und es blieb auch noch immer viel zu tun übrig, denn da waren Löcher und weite Spalten in den Mauern auf allen Seiten, wo der Wind hereinpfiff, und doch waren schon so viele mit Holzbrettern vernagelt worden, daß es aussah, als wären ringsum kleine Holzschränke in der Mauer angebracht. Auch die große, uralte Tür hatte der Großvater wieder mit vielen Drähten und Nägeln festzumachen verstanden, so daß man sie schließen konnte, und das war gut, denn nachher ging es in lauter verfallenes Gemäuer hinaus, wo dickes Gestrüpp emporwuchs und Scharen von Käfern und Eidechsen ihre Wohnungen hatten.
Dem Heidi gefiel es wohl in der neuen Behausung, und schon am anderen Tage, als der Peter kam, um zu sehen, wie es in der neuen Wohnung zugehe, hatte es alle Winkel und Ecken so genau ausgeguckt, daß es ganz daheim war und den Peter überall herumführen konnte. Es ließ ihm auch durchaus keine Ruhe, bis er ganz gründlich alle die merkwürdigen Dinge betrachtet hatte, die der neue Wohnsitz enthielt.
Das Heidi schlief vortrefflich in seinem Ofenwinkel, aber am Morgen meinte es doch immer, es sollte auf der Alp erwachen und es müsse gleich die Hüttentür aufmachen, um zu sehen, ob die Tannen darum nicht rauschten, weil der hohe, schwere Schnee darauf liege und die Äste niederdrücke. So mußte es jeden Morgen zuerst lange hin und her schauen, bis es sich wieder besinnen konnte, wo es war, und jedesmal fühlte es etwas auf seinem Herzen liegen, das es würgte und drückte, wenn es sah, daß es nicht daheim sei auf der Alp. Aber wenn es dann den Großvater reden hörte draußen mit dem Schwänli und dem Bärli und dann die Geißen so laut und lustig meckerten, als wollten sie ihm zurufen: »Mach doch, daß du einmal kommst, Heidi«, dann merkte es, daß es doch daheim war, und sprang fröhlich aus seinem Bette und dann so schnell als möglich in den großen Geißenstall hinaus. Aber am vierten Tage sagte das Heidi sorglich: »Heute muß ich gewiß zur Großmutter hinauf, sie kann nicht so lange allein sein.«
Aber der Großvater war nicht einverstanden. »Heute nicht und morgen auch noch nicht«, sagte er. »Die Alm hinauf liegt der Schnee klaftertief, und immer noch schneit es fort; kaum kann der feste Peter durchkommen. Ein Kleines wie du, Heidi, wäre auf der Stelle eingeschneit und zugedeckt und nicht mehr zu finden. Wart noch ein wenig, bis es friert, dann kannst du bequem über die Schneedecke hinaufspazieren.«
Das Warten machte zuerst dem Heidi ein wenig Kummer. Aber die Tage waren jetzt so angefüllt von Arbeit, daß immer einer unversehens dahin war und ein anderer kam. Jeden Morgen und jeden Nachmittag ging das Heidi jetzt in die Schule im Dörfli und lernte ganz eifrig, was da zu lernen war. Den Peter sah es aber fast nie in der Schule, denn meistens kam er nicht. Der Lehrer war ein milder Mann, der nur dann und wann sagte: »Es scheint mir, der Peter sei wieder nicht da. Die Schule täte ihm doch gut, aber es liegt auch gar viel Schnee dort hinauf, er wird wohl nicht durchkommen.« Aber gegen Abend, wenn die Schule aus war, kam der Peter meistens durch und machte seinen Besuch beim Heidi.
Nach einigen Tagen kam die Sonne wieder hervor und warf ihre Strahlen über den weißen Boden hin, aber sie ging ganz früh wieder hinter die Berge hinab, so als gefalle es ihr lange nicht so gut herunterzuschauen wie im Sommer, wenn alles grünte und blühte. Aber am Abend kam der Mond ganz hell und groß herauf und leuchtete die ganze Nacht über die weiten Schneefelder hin, und am anderen Morgen glitzerte und flimmerte die ganze Alp von oben bis unten wie ein Kristall. Als der Peter wie die Tage vorher aus seinem Fenster in den tiefen Schnee hinabspringen wollte, ging es ihm, wie er nicht erwartet hatte. Er nahm einen Satz hinaus, aber
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