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Heike Eva Schmidt

Heike Eva Schmidt

Titel: Heike Eva Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Purpurmond
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Schulgebäude.
    »Mensch, sei nicht gleich beleidigt, ich hab doch nur’n Witz gemacht!«
    Der Spaßvogel war nicht nur lästig, sondern auch noch hartnäckig. Ich musterte ihn: Jeans und Chucks, die ganz offensichtlich schon bessere Zeiten gesehen hatten. Aus dem Kragen seines ausgeleierten Kapuzensweater ragte ein dicklicher Hals, auf dem ein runder Kopf saß.
    Ich seufzte innerlich: Warum kam eine so dämliche Anmache nicht wenigstens von einem 18-jährigen Johnny-Depp-Double? Dann hätte ich mir ein Date vorstellen können. Ich wäre mit ihm einfach in eine Disko gegangen, wo ganz laute Musik lief. Da hätte ich ihn einfach nur anschauen können und wegen des Lärms sowieso nicht verstanden, was er sagte.
    Aber dieses Mondgesicht hier gehörte zweifellos in die Schublade »indiskutabel«. Ich legte noch einen Zahn zu. Neben mir hörte ich ein heftiges Keuchen und dann seine Stimme.
    »Du, jetzt mal ernsthaft – ich habe das Gefühl, wir kennen uns! Vielleicht aus einem früheren Leben?«
    Das reichte. Ich blieb stehen.
    »Ach, du meinst die Zeit, als du noch auf allen vieren gelaufen bist und grunzend nach Eicheln gewühlt hast?«, fragte ich und schenkte ihm ein honigsüßes Lächeln.
    Ich musste im Geiste bis vier zählen, ehe er kapierte. Als ihm endlich die Kinnlade runterfiel, wandte ich mich zufrieden ab und stieß die gläserne Eingangstür des Gymnasiums auf.
    Meinetwegen war ich eine arrogante Zicke. Das dachten in der Schule ja sowieso alle über mich. Aber so biestig war ich erst, seit meine Eltern vor vier Wochen mit mir nach Bamberg gezogen waren. Unfreiwillig, wie ich immer betonte, wenn mich jemand fragte. Mir hatte es auf Sylt, wo wir zuletzt gewohnt hatten, viel besser gefallen. Der Trubel im Sommer und all die Möwen, die kreischend vom knallblauen Julihimmel herabstießen, um ahnungslosen Touristen ihre Waffeln oder Brotstücke zu klauen, wie fliegende Taschendiebe … Die einsamen Sanddünen im Winter, das Meer mit seinen Hunderten Schattierungen von Bleigrau bis fast Schwarz. Und der pastellfarbene Himmel, der die eisige Luft in Blaugraurosatöne verpackte und den eigenen Atem wie weißen Drachenrauch aussehen ließ.
    Davor hatte ich in Berlin gelebt und noch früher in Stockholm, aber daran erinnerte ich mich kaum noch. Die einzigen schwedischen Wörter, die ich aus dieser Zeit behalten hatte, waren »Surströmming« – saurer Hering –, weil ich den als Kind so gern mochte. Und »Starköl« für Starkbier, weil mein Vater sich immer beschwerte, wie teuer dieses Getränk in Schweden war.
    Was das anging, war er in Bamberg, das mit seinen neun Brauereien als die fränkische Bierstadt galt, genau richtig. Ich aber hasste Bier. Genau wie Bamberg. In dieser malerischen Kleinstadt mit ihren kopfsteingepflasterten Gassen, den vielen Brücken und Fachwerkhäusern fühlte ich mich so fehl am Platz wie ein »Surströmming« in der Sahara.
    Und ausgerechnet hier wollten meine Eltern »endlich sesshaft werden«, wie sie betonten. Nur weil mein Vater das Haus seiner Großmutter geerbt und plötzlich ein Heimatgefühl oder was weiß ich entdeckt hatte.
    Zugegeben, das Haus meiner verstorbenen Uroma war toll. Dreistöckig, aus warmgelbem Sandstein und mit blauen Fensterläden thronte es inmitten eines riesigen Gartens zwischen alten Obstbäumen und einem blau gestrichenen Zaun, über den im Sommer die Akeleien nickten und der Rittersporn indigoblau flammte. Der ausgebaute Dachboden, ein offener Raum mit uralten, dicken Balken, war mein Reich. Auch wenn ich es nicht gern zugab: Ich hatte in den ganzen 17 Jahren meines Lebens nie schöner gewohnt. Hätte ich das Haus nehmen und nach Sylt oder Berlin zaubern können: super. Aber hier in Bamberg: uähhh!
    »Du musst dich eben auch mal ein bisschen bemühen, Caitlin. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück«, hörte ich im Geiste die Stimme meiner Mutter. Sie klang wie aus einem Waldorfpädagogik-Lehrbuch. Von wegen Mühe geben. Die ganze Sache hatte einen entschiedenen Haken, und der hatte vier Buchstaben: Sina.
     
    Als ich über den schmutzig grauen Linoleumflur des Gymnasiums auf die Tür meines Klassenzimmers zusteuerte, konnte ich ihre schrille Stimme schon durch die geschlossene Türe hören. In Mathe war Sina, die in Wirklichkeit Nastasia hieß, eine Niete. Das Einzige, was sie zahlenmäßig perfekt beherrschte, war, auszurechnen, wie viele Klamotten sie sich für ihr dickes Taschengeld leisten konnte.
    Sina und ich waren beste

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