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Heike Eva Schmidt

Heike Eva Schmidt

Titel: Heike Eva Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Purpurmond
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Prolog
    Hexe, Hexe, du sollst brennen, mit dem Kopf nach unten hängen.
    Teufelslieder sollst du singen, bis die Flammen dich umringen.
    Hexe, Hexe, du sollst sterben, mit deiner Asche den Himmel färben.
    Die hellen Kinderstimmchen schwebten durch die engen Gassen, flatterten wie freche Spatzen um die Häuserecken und schlüpften wie flinke Mäuse durch das schmale Kellerfenster des Verlieses. Dorothea sah schmutzige, nackte Kinderfüße im Kreis hüpfen, mehr konnte sie von hier unten nicht erkennen. Das Fenster, eher ein Mauerspalt mit dicken, eisernen Gitterstäben davor, war kaum höher als zwei Handbreit. Dorothea kannte den Reim. Sie hatte ihn als kleines Mädchen selbst manchmal gesungen. Damals, als die Welt in Ordnung und ihre Mutter noch am Leben gewesen war. Doch jetzt war sie tot und Dorothea kein Kind mehr, sondern eine erwachsene Frau, die man der Hexerei bezichtigt und eingekerkert hatte. Seit Tagen kauerte sie nun schon auf dem nasskalten Lehmboden des engen, dunkelmodrigen Verlieses. Die Fesseln hatten brennend rote Striemen um ihre Handgelenke gezeichnet. Hunger und Angst hatten ihren ehemals starken, gesunden Körper in ein geschwächtes, zitterndes Bündel aus Haut und Knochen verwandelt. Und Dorothea wusste, dass der Kinderreim für sie bald grausame Wirklichkeit werden würde.
    Dabei wäre sie ihren Häschern beinahe entkommen. Sie hatte eine falsche Spur gelegt und Haken geschlagen wie ein Hase auf der Flucht. Hatte sie zuerst noch geglaubt, die Männer mit ihren Fackeln und Seilen weit hinter sich gelassen zu haben, musste sie schnell erkennen, dass ihre Verfolger sie bereits eingekreist hatten.
    »Warum steigst du nicht auf deinen Besen und fliegst zu deinem Teufelsgebieter?«, hatten sie gehöhnt.
    Als sie vor Angst nicht antworten konnte, schlug ihr einer der Männer ins Gesicht. Der Hieb fällte sie wie die Axt einen jungen Baum. Ein anderer zog sie an den Haaren wieder hoch; ein Büschel blieb in seiner Faust zurück. Starr vor Entsetzen musste sie mit ansehen, wie er die rotgoldenen Strähnen über seine Fackel hielt, bis sie sich kräuselten, zu äschernen Fäden wurden, ehe sie wie dünne Spinnweben verglimmten.
    »Genauso wird der Fuchs es mit dir machen, Hexe!«, lachten die Knechte.
    Bei diesen Worten musste Dorothea an die alte Gesche denken, die vor vier Wochen verbrannt worden war, weil sie eine Seuche über das Vieh ihrer Nachbarn gebracht haben sollte. Ehe man die wimmernde Alte zum Scheiterhaufen geschleift hatte, hatten die Peiniger ihren Körper mit heißen Zangen malträtiert. Als sich Dorothea an die tiefroten Brandmale auf Gesches dünnen Armen und Beinen erinnert hatte, die sich wie die Bisse eines glühenden Eisenmauls in deren faltige Haut gegraben hatten, hatte die Welt begonnen, sich um sie herum zu drehen, ehe sie endlich in eine gnädige Ohnmacht gefallen war. Als sie wieder zu sich gekommen war, hatte sie im Verlies des Drudenhauses gelegen.
    Dorothea wusste, was sie erwartete: der Fuchs von Dornheim, Fürstbischof von Bamberg und der gefürchtetste Hexenbrenner des ganzen Landes, sowie sein eifriger Getreuer, der oberste Richter der Stadt. Bis Dorothea die erlösende Schwärze der Ewigkeit umfangen würde, drohten ihr noch die Qualen der Folter, die man den angeklagten »Hexen« angedeihen ließ.
    Die Daumenschrauben.
    Der Spanische Stiefel.
    Das Knien auf dem Nagelbrett.
    Die Streckbank.
    Das Aufziehen.
    Ihre Knochen würden brechen, ihre Haut von den Hieben mit der Nagelpeitsche blutig aufgerissen werden.
    Sie dachte an ihren Liebsten. Wenn sie sich vorstellte, dass das vor Entsetzen verzerrte Gesicht Daniels das Letzte wäre, was sie in diesem Leben sehen sollte, durchfuhr sie ein Schmerz, als hätte die Hitze der blaugelben Feuerzungen ihr Herz bereits erreicht. Dorotheas Hände umklammerten die Eisenstäbe des Verliesfensters, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie drückte ihre Wangen an die kalten Gitterstäbe und wusste: Den klaren, blauen Maihimmel würde sie nur noch ein einziges Mal unverstellt sehen – nämlich dann, wenn man sie auf den Scheiterhaufen band.

Kapitel 1
    H e, Rotschopf, dich hätten sie früher aber garantiert als Hexe verbrannt!«
    Ich verdrehte die Augen. Der Typ auf dem Schulhof kam sich anscheinend besonders witzig vor. Als wäre vor ihm noch nie jemand auf die Idee gekommen, mich wegen meiner roten Haare aufzuziehen. Ich beschloss, ihn zu ignorieren und ging, ohne eine Miene zu verziehen, weiter Richtung

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