Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
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K öln, 2005. Die Domstadt feiert den Weltjugendtag, und die gesamte Republik ist im kollektiven Weihrausch. Kurz zuvor hat die Bild »Wir sind Papst« verkündet und damit im Handstreich das ganze Land katholisiert. Seit Wochen hängt gegenüber dem Kölner Dom ein Plakat, das den katholischen Oberhäuptling ankündigt. Nun ist er endlich da. »Ein Besuch der Superlative: Gigantischer als ein Pop-Konzert, gesichert wie ein Staatsbesuch«, jubelt der wdr . Ratze rockt Köln, und überall feiern sangesfreudige junge Menschen und Benedetto-Gröler den Popestar.
Glaube scheint plötzlich wieder die abgefahrenste Sache jenseits von Eden zu sein, denn überall sprechen Experten und Kommentatoren von der »Rückkehr des Religiösen«. 1,1 Millionen Menschen drängen zur Abschlussmesse aufs Marienfeld, und es kommt auf Straßen und in öffentlichen Verkehrsmitteln zu Pilgerverstopfungen. Das Rheinland und besonders die Kirche sind überwältigt: Es sieht ganz so aus, als ob sich die christlichen Glaubensvereine in der kommenden Zeit auf viele neue Clubmitglieder freuen dürfen.
Wir wundern uns ein wenig über so viel Frömmigkeit bei unseren Altersgenossen. Das sind wir nicht gewohnt. Immerhin jubeln hier junge Leute, die sich in diesem Jahr ansonsten auch für den Homowestern Brokeback Mountain begeistern, eine Frau zur Kanzlerin wählen und bei Youporn ihre Höhepunkte ins Internet stellen, einem zweitausend Jahre alten Männerclub zu, der Schwulsein für eine Krankheit hält, niemals eine Frau ans Ruder der Arche lassen würde und Kondome nicht einmal als Wasserbomben benutzt.
Bei genauerem Hinsehen entdecken wir, dass der heilige Schein trügt. Nicht alle Feierlustigen sind in christlicher Mission unterwegs. Ein Kamerateam von tv Total offenbart bei einer Umfrage in der Kölner Innenstadt Unglaubliches – oder eher Ungläubiges:
»Warum bist du beim Weltjugendtag?«, fragt der Reporter.
Der Junge mit verspiegelter Sonnenbrille und weißer Basecap tritt von einem Bein aufs andere. »Party«, nuschelt er.
»Nur Party?«
Ein angedeutetes Grinsen huscht über sein Gesicht. »Weiber.«
»Ach, und sonst?«
»Ganz viele Weiber.«
»Und was ist mit Gott?«
»Gott ist korrekt. Aber der Papst«, er schüttelt den Kopf und zieht dann eine Schnute, »... ach, scheiß drauf.«
Geht es beim Weltjugendtag tatsächlich um Frömmigkeit, oder nur um Fromms? Wir mischen uns unter die Gläubigen und treffen einige Jugendliche, die freiwillig Kondome unter den Pilgern verteilen. Ein Akt der Barmherzigkeit, der zwar nicht mit den Geboten des Papstes zu vereinbaren ist, aber dessen Ansichten scheinen für die meisten hier ohnehin nicht maßgeblich zu sein. Auch die achtzehnjährige Sara aus Rom freut sich im Lokalfernsehen über das große Schlaflager in der Sporthalle: »Da dürfen Jungen und Mädchen gemischt schlafen!« Das nächtliche Treiben auf den Pilgerlumas hat offenbar viel mit Nächstenliebe, aber nichts mit katholischem Lifestyle zu tun. Wer denkt hier in diesen Tagen bei dem freudigen Ausruf »Oh, Gott!« wirklich an den Allmächtigen?
Im dichten Pilgerstrom des Erleuchtungsevents treffen wir später Krissy, der es mit einigen Freundinnen an diesem besonders schönen Sommertag gelungen ist, einen Blick auf eine ganz andere heilige Familie zu werfen – die Kelly Family. Das Erlebnis mit der modernen Christuskapelle genügt den Mädels offenbar. Sie entscheiden sich für Joey, aber gegen Benny. »Die Kellys waren voll süß. Und die haben auch immer so Benedetto geklatscht«, erzählt Krissy, auf deren T-Shirt der Spruch Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse Mädchen kommen überallhin steht. Ihre Augen leuchten bei der Erinnerung ans Sakropopkonzert selig. »Den Papst gucken wir uns jetzt nicht mehr an. Wir sind voll platt.«
Der Heilige Geist war beim Weltjugendtag wohl nur Zaungast, zumindest, was die breite Masse angeht. Die Hoffnung, dass sich durch das Mega-Event eine ganze Nation und vor allem die junge Generation in die Arme der Kirche zurücktreiben lassen, war fromm gemeint, aber wenig realistisch. Die Studie Megaparty Glaubensfest kam später zu der Erkenntnis, dass die bekennenden Weltjugendtagsbesucher auch vorher schon in der Kirche aktiv gewesen waren. Unbeteiligte, die nicht zu einer kirchlichen Organisation gehörten, hatten Besseres zu tun, als sich bekehren zu lassen. Das große Revival des Glaubens war im Grunde also nicht mehr als ein kleines Dornbuschfeuer.
»Also die
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