Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
Hardcorechristen waren halt diejenigen, die im Flugzeug die Bibel gelesen und den Rosenkranz gebetet haben, damit sie nicht abstürzen. Die Weihrauchkiffer waren eher die, die rumgegrölt haben, Spaß hatten und Party gemacht haben.«
Ein Pilger gegenüber dem Forschungskonsortium Weltjugendtag
In Wirklichkeit könnte die Lage für den Nazarener Fischerverein nicht viel apokalyptischer aussehen. Zumindest in Deutschland. Während weltweit die Zahl der 2,1 Milliarden Christen wächst, kündigen hierzulande jedes Jahr Hunderttausende ihr Abo mit der Paradiesprämie: Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus, und das seit vielen Jahrzehnten. Infolge der Missbrauchsskandale hat die Zahl der Kirchenaustritte im vergangenen Jahr sogar einen neuen Höchststand erreicht: Weit über dreihunderttausend Menschen verließen 2010 die katholischen und evangelischen Kirchen, zum ersten Mal hatte die katholische Kirche größere Verluste zu beklagen als ihr lutheranischer Ableger. Zahlreiche Statistiker wie jene von der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) gehen durch Hochrechnungen mittlerweile davon aus, »dass etwa um 2025 die Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung keiner der beiden großen Kirchen mehr angehören wird«.
Höchste Zeit, dem Christentum endlich die letzte Ölung zu verpassen, meinen Kirchen- und Glaubenskritiker. Bisher sprach für die Kirche noch eine hohe Glaubwürdigkeit in moralischen Dingen, aber die Zweifel in der Bevölkerung wachsen rasant – kein Wunder bei der miesen Presse: Die Satire-Zeitschrift Titanic kassierte einen Verweis für ihr Titelbild im April 2010, bei dem ein Priester in eindeutiger Stellung vor dem Gekreuzigten kniet. »Ist Gott nur eine Wahnvorstellung?«, will unterdessen das zdf wissen; »Wie glaubwürdig ist die Kirche?«, fragt der swr ; »Heidenspaß statt Höllenqual« und »Auslaufmodell Kirche?«, titelt der wdr ; Anne Will talkt mit ihren Gästen über die Missbrauchsfälle; der Stern enthüllt »Lügen, Blut und Weihrauch. Die dunklen Geheimnisse der Kirche« im Jahr nach dem Weltjugendtag; »Ich glaube, ich trete aus«, meinte das Zeit Magazin ; der Journalist und Autor Dirk Kurbjuweit erklärte jüngst im Spiegel , »warum sich die Demokratie endgültig vom Christentum befreien muss«, und Karen Duve veröffentlicht ebenda ein »Plädoyer wider den Glauben« mit dem Titel »Welt ohne Gott«. Auch diverse religionskritische Bücher wie Der Gotteswahn des britischen Evolutionsbiologen Richard Dawkins verkauften sich wie früher Ablassbriefe und standen hierzulande monatelang auf den oberen Plätzen der Bestsellerlisten. Die wachsende Zahl von Ungläubigen findet ein Sprachrohr in atheistischen Verbänden wie der Giordano Bruno Stiftung, die in letzter Zeit bundesweit durch Talkshowauftritte und kirchenkritische Aktionen in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erregen. Der Tenor der Humanisten, Kirchenkritiker und Evolutionsbefürworter: Warum sollen Christen in hohen Ämtern weiterhin Staat und Medien beeinflussen, wenn sie bald in der Minderheit sind?
Die Kirchen sind eine der Grundfesten unserer Gesellschaft, das wiederholen Politiker und Kirchenobere allerorten gebetsmühlenartig auf diese Vorwürfe hin. Doch immer mehr Menschen fragen sich, ob es angemessen ist, dass die Glaubensriesen jedes Jahr staatliche Zuschüsse in Milliardenhöhe einstreichen dürfen – und wofür überhaupt? Viele überlegen, ob sie die Kirche überhaupt vermissen würden, wenn es sie morgen nicht mehr gäbe. Diese Menschen halten sie für komplett überflüssig – oder jedenfalls nicht mehr für den Hüter von Glauben und Moral, geschweige denn für einen Hort des Friedens. Dreiundvierzig Prozent der Deutschen können sich laut einer allbus -Umfrage des Gefühls nicht erwehren, dass die Welt ohne Religion friedlicher wäre.
Und Gott? Den hat es nie gegeben, zumindest wenn man dem prominenten Physiker Stephen Hawking Glauben schenkt. In seinem Buch Der große Entwurf schreibt er, kein höheres Wesen habe bei der Erschaffung des Weltalls die Hände im Spiel gehabt. »Spontane Schöpfung ist der Grund, warum es statt des Nichts doch etwas gibt, warum das Universum existiert, warum wir existieren.« Es sei »nicht notwendig, sich auf Gott zu berufen«.
Die religiöse Lage erinnert aus unternehmerischer Sicht an die letzte Finanzkrise: Der Aktienkurs der Christentum ag ist im freien Fall. Der Grund sind wie immer Managementfehler. Die Marke ist schwer beschädigt
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