Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)
fairen Wettbewerb«, kündigte der FDP-Politiker 2010 an. Aber wie kann es trotz so hehrer Absichten sein, dass sogar Selbsthilfeorganisationen behaupten, das neue Arzneimittelgesetz »gefährde die Patientensicherheit«?
Besonders kritisiert wird die Änderung, wonach der Nutzen von Medikamenten gegen seltene Leiden nicht mehr bewiesen werden muss. Ihr Zusatznutzen sei »durch die Zulassung belegt«, heißt es in der Novelle. Für die Zulassung muss aber nur die Wirkung nachgewiesen werden, nicht der Nutzen. Das ist ein großer Unterschied, wie etliche Arzneiskandale zeigen. Die Logik des neuen Arzneimittelgesetzes ist bestechend: Ist ein Medikament zugelassen, nutzt es. Und es nutzt, weil es zugelassen ist.
Doch so einfach ist es nicht. Wirkung zeigten sie ja, die Medikamente gegen Herzrhythmusstörungen, die 1979 auf den Markt kamen – nur eben nicht die erwünschte. Kranke litten zwar seltener an Herzstolpern, und ihr EKG normalisierte sich. Doch unabhängige Studien zeigten, dass Zehntausende Menschen an den neuen Arzneien starben. Mehr tote Amerikaner als im Vietnamkrieg, vermutete ein Autor aus den USA, habe dieser kaum beachtete Medizinskandal gefordert.
Senkt ein Insulin den Blutzucker, wirkt es zwar – ob dadurch jedoch Spätfolgen des Diabetes verzögert werden und Menschen länger leben, belegen erst Nutzenbewertungen, wie sie seit 2004 das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vornimmt, das allerdings mit den Prüfungen überhaupt nicht nachkommt.
Wie wichtig die Arbeit des Instituts ist, um Täuschungsversuche der Pharmafirmen zu entlarven, zeigte sich im Herbst 2010. Experten des IQWiG waren seinerzeit zu dem Schluss gekommen, dass der Wirkstoff Reboxetin nicht besser gegen Depressionen hilft als Scheinmedikamente. Allerdings litten Patienten unter Nebenwirkungen der »ineffektiven und potentiell schädlichen« Arznei. Das Problem: Reboxetin wurde zwar schon 1997 zugelassen. Hersteller Pfizer gab aber nur einen Bruchteil der vorhandenen Daten zur unabhängigen Analyse heraus. Auf öffentlichen Druck hin kooperierte der Pharmakonzern dann Jahre später doch. Die bisher verschwiegenen Daten erhärteten die negative Bewertung des Antidepressivums. Reboxetin wurde für die Zulassung vor 1997 getestet. Diese Studien könnten nach der Gesetzesreform weiter unter Verschluss gehalten werden.
»Man hat den Eindruck, dass die Lobbyverbände viel erreicht haben«, sagt Wolf-Dieter Ludwig. Viele der angeblich seltenen Leiden, deren Therapie von der Nutzenbewertung ausgenommen werden soll, sind Krebserkrankungen und alles andere als selten. Die Mittel sind es erst recht nicht, oft werden sie auch gegen andere Leiden eingesetzt.
Fast alle neuen Krebsmittel bekommen neuerdings den Status »Gegen seltene Leiden«. Der Vorstoß, mit diesem Trick teure Mittel zu bevorzugen, sei wirtschaftspolitisch, aber nicht medizinisch motiviert, monieren Kritiker. »Für die Zulassung sind viele Substanzen schlecht geprüft, so dass von Nutzen oft keine Rede sein kann«, sagt Ludwig. Für ein neues Krebsmittel befand die Europäische Arzneimittelbehörde 2009 beispielsweise, dass es für Patienten keinen Vorteil hätte.
Rainer Hess warnt davor, die wissenschaftlich fundierten Kriterien aufzuweichen, mit denen der Nutzen von Arzneimitteln geprüft wird. Hess war lange Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses, der Fachgutachten – etwa des IQWiG – für die Entscheidung zu Rate zieht, welche Mittel die Kassen erstatten. »Die Nutzenbewertung durch Rechtsverordnungen des Ministeriums führt weder zur Schnelligkeit noch zur Rechtsklarheit«, sagt Hess. Absurderweise will das Ministerium künftig bewerten, ob Pillen etwas nutzen – und damit das IQWiG entmachten, das dafür die Unzweckmäßigkeit eines Mittels beweisen darf. Wie soll das gehen, die Unzweckmäßigkeit zu beweisen? Es ist erkenntnistheoretisch schlicht unmöglich, die Nichtexistenz nachzuweisen. Wer kann schon sicher sagen, dass es keine grünen Giraffen gibt?
»Nur wenn der Nutzen – und der mögliche Schaden – bekannt sind, können Patienten und Ärzte die bestmögliche Therapie auswählen«, sagt Jürgen Windeler, seit September 2010 als Nachfolger von Peter Sawicki Chef des IQWiG. »Geld, das für unnütze Medikamente ausgegeben wird, fehlt an anderer Stelle für sinnvolle Therapien.«
Als Taschenspielertrick bezeichnen Kritiker auch den Vorstoß, teure Mittel zu bevorzugen. Ihr Zusatznutzen sei schon
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