Heimkehr
und Schulen und Straßen und Geschäfte. Nun verläuft das Spiel so, daß die Figur, die Bobby heißt, geschlagen wird. Sie verschwindet völlig vom Schachbrett. Ist das eine Tragödie?«
»Ja! Er ist nicht einfach in einem anderen Zimmer. Er ist fort! Es gibt niemanden, der ihn ersetzen kann, und ich muß für den Rest meines Lebens ohne ihn zurechtkommen.«
»Je mehr wir uns dem Spiel nähern«, sagte ich, »und je mehr wir von ihm gefesselt sind, um so mehr empfinden wir Verlieren als eine Tragödie. Aber Verluste sind nur für die Spieler eine Tragödie, Dickie. Nur wenn wir vergessen, daß es sich um Schach handelt, wenn wir vergessen, wieso wir spielen, und wenn wir glauben, unser Schachbrett sei das einzige, das existiert.«
Er beobachtete mich aufmerksam.
»Je mehr wir vergessen, daß es ein Spiel ist und daß wir die Spieler sind, um so sinnloser wird es zu leben. Aber das Leben auf der Erde ist das gleiche wie Baseball und Fechten… sobald das Spiel zu Ende ist, erinnern wir uns… oh, ich spiele doch, weil ich diesen Sport mag!«
»Wenn ich das vergesse, brauche ich dann nur über dem Schachbrett zu schweben und zuzuschauen?« fragte er.
Ich nickte.
»Du hast es von den Flugzeugen gelernt«, sagte er.
»Ich habe es von der Höhe aus gelernt. Dadurch, daß ich hier oben throne und auf eine Menge Schachbretter in der ganzen Welt hinunterschaue.«
»Bist du nicht traurig, wenn jemand stirbt?«
»Nein, den Toten nützt es nichts«, sagte ich. »Und mir schon gar nicht. Wann immer ich getrauert habe, bin ich in Selbstmitleid versunken, und jedesmal habe ich es nicht heil überstanden, sondern war danach abgestumpft und dem Trunk ergeben. Ich konnte mich nicht zu der Überzeugung durchringen, daß der Tod in der Raumzeit ebensowenig real ist wie das Leben in der Raumzeit, und nach einer Weile versuchte ich nicht mehr zu trauern.«
Ich ging in 20.000 Fuß Höhe zum Horizontalflug über und nahm das Gas zurück, um mit Reisegeschwindigkeit weiterzufliegen. Der Übergang von der Steigleistung zur Reisegeschwindigkeit dauerte eine ganze Weile, aber das war normal. Die Drosselklappen der Turbolader waren geschlossen, und weißes Feuer wurde direkt in die Turbinen geblasen. Außerhalb des Flugzeuges herrschte eine Temperatur von 30 Grad minus, doch die Auspuffrohre waren so heiß, daß sie Silber hätten zum Schmelzen bringen können. Dank eines solchen Kontrastes fliegen wir, dachte ich.
»Die meisten Leute sagen, Trauern sei wichtig, Dickie, Kummer sei gesünder als Karottensaft und Waldluft. Ich bin zu dumm, um das zu begreifen. Wir müssen nicht mehr trauern, wenn wir den Tod verstanden haben, genauso wie die Angst aufhört, wenn wir fliegen können. Warum soll man um jemanden trauern, der nicht gestorben ist?«
»Erwartet man es?« fragte er. »Man setzt voraus, daß getrauert wird, wenn Menschen verschwinden.«
»Wieso?« fragte ich.
»Weil man von dir erwartet, daß du zu denken aufhörst und von dem, was du siehst, ergriffen bist, und dann erwartet man, daß du dich… unglücklich fühlst. Das sind die Regeln, Richard! Jeder verhält sich so!«
»Nicht jeder, Kapitän. Sogar Trauer muß einen Sinn haben, und warum sollten wir ohne den denn trauern? Wenn ich dir eines sagen kann, was das Leben betrifft, so dies: Vergiß nie, daß es ein Spiel ist.«
Etwa zu diesem Zeitpunkt begann das hintere Triebwerk wieder zu pumpen…
»Verdammt!« sagte ich genervt.
»Es ist nur ein Spiel, Richard«, bemerkte er.
»Mir reicht’s«, sagte ich und schluckte meinen Ärger hinunter. Ich trimmte die Nase des Flugzeugs nach unten, und wir begannen an Höhe zu verlieren.
»Sag mir etwas anderes, was ich wissen muß. Gib mir einige Maximen mit auf den Weg, die mir im Alltag nützen können.«
»Maximen«, erwiderte ich. Es ist mir stets eine Freude, wenn wenige Worte so viel ausdrücken! »Wenn du einen Propeller anwirfst, wundere dich nicht, wenn der Motor zu laufen beginnt.«
Er wandte sich mir zu, und seine Brauen waren hochgezogen.
»Die Maxime eines Fliegers«, sagte ich. »Das Gesetz der unbeabsichtigten Folgen. In zwanzig Jahren wirst du wissen, wie inhaltsschwer es ist.«
»Ich selbst in wechselnden Rollen bin mein eigentlicher Lehrer.«
»Stimmt das denn?« fragte er.
»Dickie, möchtest du dir einige erstklassige Maximen zu eigen machen?«
»Ja, bitte.«
»Ich muß mein Leben rasch noch einmal in Gedanken durchgehen, um dir das Beste anvertrauen zu können, was ich weiß. Du bist ungeheuer
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