Die Korallentaucherin
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Kapitel eins
Country Victoria, 1980
Die siebte Welle
J ennifer sah zu, wie ihre Mutter alles, was sie für den Urlaub benötigten, in dem kleinen Caravan verstaute, und achtete darauf, dass ihre Lieblingspuppe, ihr Malbuch und ihre Stifte mitsamt der Angelrute, den Büchern und Schnipp-Schnapp-Karten ihres Bruders in die Kiste wanderten.
Christina Campbell schob alles unter die Sitzbank neben dem Klapptisch. »So, jetzt weißt du, wo Teddys und deine Sachen sind.«
»Kann ich Daisy jetzt zurückhaben? Da drinnen ist es dunkel.«
Christina lächelte ihre besorgte fünfjährige Tochter an. »Ihr geht’s gut, sie schläft. Daddy will, dass wir alles, was wir mitnehmen wollen, bis heute Abend in den Caravan geladen haben. Du willst Daisy doch nicht zu Hause lassen, oder?«
»Wo sind mein Eimer und meine Schaufel?«
»Schon eingepackt, Schätzchen, wir werden bestimmt nichts vergessen.« Christina konnte nur hoffen, dass sie recht hatte. Der Caravan, zwar alt und reisemüde, war eine Neuanschaffung der Familie, und sie standen vor ihrem ersten richtigen Camping-Urlaub. Und das Beste war: Sie reisten ans Meer. Zum ersten Mal. Das würde eine willkommene Abwechslung von der täglichen Plackerei auf der Farm sein, vom Kampf gegen die Dürre und sinkende Aktienkurse, ständig den Bankdirektor im Nacken. Christina erinnerte sich, wie ihr Mann Roger sie mit dem Caravan überrascht hatte.
Er hatte ihn eines Nachmittags, nachdem er zwei Tage fort gewesen war, um den Bankdirektor zu beschwichtigen, zum Viehmarkt zu gehen und mit anderen Farmern zu reden, die im selben Boot saßen wie er, mitgebracht. Sie hatte sich geärgert, weil er Geld für etwas so Überflüssiges wie einen Caravan ausgegeben hatte, und nicht im Traum daran gedacht, dass sie jemals wirklich damit in Urlaub fahren würden. Doch Roger hatte zum ersten Mal seit vielen Monaten vergnügt ausgesehen.
»Rolly Blake wollte ihn quasi verschenken. Da seine Frau tot ist und die Kinder verkaufen wollen, meinte er, ihn nicht mehr brauchen zu können. Und weißt du was, Liebes, alles könnte noch verdammt viel schlimmer werden, als es schon ist, nach dem, was ich in der Stadt so gehört habe. Da dachte ich, wir sollten den Kindern, uns allen, mal etwas gönnen. Gott weiß, wann wir je wieder die Möglichkeit dazu haben.«
Oder wann wir sie je hatten, dachte Christina, doch sie öffnete die Tür, um zu sehen, wie der Wohnwagen von innen aussah. Die Kinder kamen herbeigelaufen und hüpften begeistert um das Häuschen auf Rädern herum. Und Christina musste zugeben, dass der Caravan recht praktisch war, wirklich gut eingerichtet. Im Inneren hatte eine Frau gewirkt, das war nicht zu übersehen. Sie sah sich nach ihrem strahlenden Mann um. »Er ist wohl brauchbar. Wohin könnten wir damit fahren? Doch bestimmt nicht weit?«
»Ich habe mir was überlegt. Bernie Allen von nebenan würde sich um die Farm kümmern, und ich denke, wenn wir den alten Bullen verkaufen, haben wir genug Geld, um bis an die Küste zu fahren.«
Ihr siebenjähriger Sohn Teddy jauchzte, als er das hörte. »Meinst du, ans Meer, Dad? Dann können wir angeln gehen!«
»Na klar. Das ist was anderes als die Sonnenbarsche in unserem Stausee. Am Meer holen wir die richtig großen Fische raus!«
Die Fahrt an die Küste war ein Abenteuer, denn sie mussten zwei Nächte im Caravan verbringen. Die Kinder wollten auch während der Fahrt im Wohnwagen sitzen, mussten sich jedoch damit abfinden, nur auf dem Rücksitz herumhopsen zu können. Sie löcherten ihren Vater mit Fragen:
»Sind wir bald da?«
»Wie lange dauert’s noch?«
»Ich will meinen Eimer und die Schaufel!«
Der Campingplatz lag im Schatten von Keulenbäumen direkt am Strand. Die Landzunge im Süden ragte ins Meer, gischtgekrönte Wellen brachen sich an den Felsen. Ein schmucker Leuchtturm erhob sich auf dem höchsten Punkt. Am nördlichen Ende des Strandes waren bei Ebbe flache Felsen zu sehen, durchsetzt von Gezeitentümpeln und kleinen Prielen. Die Wellen leckten an den Steinen, und hinter dem Sandstrand erhoben sich hohe Dünen.
Die Familie Campbell wurde in der eingeschworenen Camper-Gemeinschaft freundlich aufgenommen. Die meisten waren alte Hasen, die jedes Jahr kamen, und die Familie wurde bereitwillig in die Sitten und Gebräuche des Campens eingeführt. Die Kinder hatten Spielkameraden, die Männer tranken Bier und palaverten, während die Frauen sich über Schnellverfahren bei der Zubereitung der Mahlzeiten und
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