Heimkehr am Morgen (German Edition)
ja?«
»Bitte – begleiten Sie mich zu einer kurzen Unterredung«, bat Cookson erneut und streckte einladend die Hand aus.
Jessica sah sich ratlos um, sie suchte nach einer Ausrede. Vergeblich. »Na schön.« Widerstrebend folgte sie ihm, einer Frau ausweichend, die zwei Kinder mit amerikanischen Fähnchen im Schlepptau hatte.
Am Rathaus angekommen rauschte Cookson an seiner Sekretärin vorbei. »Ich will nicht gestört werden, Birdeen«, informierte er die dunkelhaarige Frau, die im Vorzimmer an der Telefonschalttafel saß. Birdeen Lyons hatte eine Doppelfunktion als Sekretärin des Bürgermeisters und Telefonfräulein von Powell Springs, auch wenn, soweit Jess wusste, Fernsprechapparate hier nicht so verbreitet waren wie anderswo. Powell Springs war immer noch eine Kleinstadt, und in jeder Straße hatten nur ein oder zwei Häuser einen Anschluss.
»Geht klar, Horace.«
Wie ein Wirbelwind fegte er in sein unaufgeräumtes Büro und schob einen Stapel Papiere vom Stuhl neben seinem Eichenschreibtisch. Er bedeutete Jessica, sich zu setzen. »Ich habe hier keinen Tee oder Kaffee, aber ich könnte im Café welchen holen lassen. Dauert nur eine Minute.«
»Nein, danke.« Sie sah sich um. An der Wand hinter dem Schreibtisch hing dasselbe Werbeposter für Kriegsanleihen wie in nahezu jedem Schaufenster der Stadt. Daneben befand sich eine kleine, gerahmte Fotografie von Eddie, steif und stolz in Uniform.
Der Bürgermeister nahm Platz und drehte sich frontal zu ihr. »Sie müssen mir nachsehen, dass ich Sie auf der Straße abgefangen habe. Glauben Sie mir, wenn es nicht dringend wäre, hätte ich es nicht getan.«
Jessica nickte und wartete auf einen Grund, der noch dringender war als ein kranker Sohn, der nach Hause gebracht werden musste. Sein rundes Gesicht, obgleich freundlich, verriet nichts.
»Als ich heute Morgen gehört habe, dass Sie in der Stadt sind und dann meinen Sohn behandelt haben, habe ich eine Sondersitzung des Stadtrats einberufen.«
Argwöhnisch setzte sie sich auf. Wie hatte sich die Nachricht von ihrer Ankunft so schnell verbreiten können? Dann kam ihr ein Gedanke, und sie zog unwillkürlich die Augenbrauen zusammen. »Du lieber Himmel, hat sich Granny Mae etwa über mich beschwert? Bin ich deswegen hier?«
»Aber, aber, lassen Sie sich von Mae doch nicht die Laune verhageln. Sie ist schon in Ordnung und gehört hier zum festen Inventar. Sie mischt schon seit Urzeiten ihre Tränke und bringt die Babys auf die Welt.«
Aber, aber, nur ruhig Blut
… Wie oft hatte sie sich diese gönnerhaften Sätze schon anhören müssen, seit sie sich entschlossen hatte, Ärztin zu werden. »Bürgermeister Cookson, mit meiner
Laune
ist …«
»Mae ist in Ordnung«, unterbrach er sie, »und sie kocht einen Hühncheneintopf, dass meine Mutter vor Neid erblassen würde, Gott hab sie selig. Aber ich denke, wir sind uns darüber einig, dass sie keine richtige Ärztin ist.«
Jess Mund, den sie bereits geöffnet hatte, um zum Protest anzusetzen, klappte zu. »Ähm, nein, wohl nicht. Deshalb habe ich mich ja eingemischt«, stimmte sie ihm vorsichtig zu.
»Und ich bin froh darüber. Wir brauchen hier einen
Arzt
. Seit Doktor Vandermeer letztes Frühjahr an der Grippe gestorben ist, haben wir keinen mehr.«
»Wie ich gehört habe, gibt es bereits einen Nachfolger.« Amy hatte es in ihrem letzten Brief erwähnt.
»Ja, Frederick Pearson. Ein respektabler junger Arzt, der gerade sein Examen gemacht hat, soweit ich seinen Briefen entnehmen kann.« Er wühlte in diversen Papierstapeln auf seinem Schreibtisch herum. »Ich kann sie gerade nicht finden. Aber respektabel oder nicht, es steht immer noch nicht fest, wann er kommt. Wir erwarten ihn schon seit geraumer Zeit. Wegen des Krieges sind viele Ärzte nach Übersee gegangen.«
Das war ihr wohl bewusst. Sie war sich nicht ganz sicher, wie respektabel er sein konnte angesichts dessen, dass die Armee jeden auch nur halbwegs kompetenten Arzt eingezogen hatte. Die einzigen, die noch übrig waren, waren Quacksalber ohne Ausbildung und ein paar wenige Frauen wie sie, die für die Armee uninteressant waren. »Was hat das mit mir zu tun, Mr. Cookson?«
Er verschränkte seine großen Bauernhände über der Schreibunterlage auf seinem Schreibtisch. »Es war eine kurze Sitzung.Nach einigen Streiter…, ich meine, Diskussionen hat der Stadtrat dafür gestimmt, dass ich Sie bitten soll, in Powell Springs zu bleiben, bis Dr. Pearson kommt.«
Jessica starrte ihn an. »Der
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