Heimkehr am Morgen (German Edition)
Cole fand, dass man seine Schwägerin damit nicht alleinlassen sollte. Bei Amerikas Kriegseintritt wurden zusammen mit der Armee 182.000 Pferde nach Europa geschickt. Auch wenn man aufgrund der kilometerlangen Stacheldrahthindernisse keine Kavallerie einsetzen konnte, wurden Pferde benötigt, um Ausrüstung und Vorräte zu transportieren. Die Tiere starben genauso wie die Menschen durch Senfgas und Maschinengewehrsalven, und es wurde ständig Nachschub gebraucht. Wenn er daran dachte, welches Schicksal die armen Tiere in Europa erwartete, drehte sich ihm der Magen um. Ein Mann wusste, dass er sich als Soldat in Gefahr begab. Ein Pferd nicht.
Ganz in seine Arbeit vertieft und seinen Gedanken nachhängend hörte er den Reiter erst, als Roscoe zu seiner Begrüßung bellte und hochsprang. Cole blickte auf. Es war Pop auf Muley, einem langohrigen Wallach, der ebenso wie sein Reiter schon schwer vom Alter gezeichnet war.
Sein Vater saß ungelenk ab, eines seiner Knie war fast vollkommen steif. Er trug das aschgraue Haar kurz geschnitten, und von seinem zerfurchten Gesicht waren all die Tage abzulesen, an denen er Hitze und Sturm getrotzt hatte. »Soso. Nun ist sie also wieder da, was?«
Augenblicklich auf der Hut ließ Cole Mollys Huf los und straffte die Schultern. »Wer?«
»
Wer?
Na, Ben Laytons Mädel, die Ärztin. Die, die du fast geheiratet hättest. Ist drüben bei Tilly’s das Tagesgespräch. Habe gehört,sie hat einen von Granny Maes Patienten geklaut, und du hast ihr dabei geholfen.«
Cole stöhnte innerlich. Diese alten Knaben bei Tilly’s waren schlimmere Klatschmäuler als ein Haufen Betschwestern. Und Pop hatte natürlich nichts Besseres zu tun als sofort hierherzukommen, um es ihm brühwarm zu erzählen. »Ja, Jess hat sich um Ed Cookson gekümmert. Er hat eine schlimme Erkältung oder so was – ist zusammengebrochen und auf die Straße gefallen. Aber sie hat nicht Maes Patienten ›geklaut‹. Mae ist nämlich keine Ärztin.«
Obwohl Cole seinen Vater um einen Kopf überragte, gab Pop ihm mit einem einschüchternden Blick aus seinen kaffeebraunen Augen immer noch gern das Gefühl, ein Junge von zehn Jahren zu sein. »Du hast jetzt die richtige Frau, eine gute Frau, also schlag dir die Ärztin aus dem Kopf.«
Cole konnte seinen Ärger nicht verhehlen. »Meine Güte, Pop, sie ist nur zu Besuch nach Hause gekommen. Das ist alles. Was immer zwischen mir und Jess gewesen ist, es ist längst vorbei. Außerdem hat mir Amy erzählt, dass sie in Seattle eine Stelle antreten wird.«
Der alte Mann band Muley mit seinen knotigen Händen an einen Pfosten und humpelte zu einem Hocker, der neben einem Eimer mit Nägeln stand. Laut ächzend ließ er sich umständlich darauf nieder und fuhr fort: »Ich kann mich noch gut erinnern, wie du damals herumgelaufen bist, als sie dir gesagt hat, dass sie nach New York geht, mit einer Trauermiene wie ein Kälbchen, das nach seiner Mama sucht.«
»Das ist schon eine
Ewigkeit
her.«
Pop hatte ein Talent dafür, auf einem Thema herumzureiten, und so redete er weiter, als hätte er Coles Einwand nicht gehört. »Ach Gott, eine Stimmung war das wie in einem verdammten Beerdigungsinstitut. Rileys Frau hat geschmollt, weil er nach Übersee gegangen ist, und du hast Trübsal geblasen. Also lass das Arztmädel ihrer Wege gehen. Sie ist ein hübsches Ding, aber klüger, als gut für sie ist. War schon immer so, hat immer ihre Nase in Bücher gesteckt. Das ist nichts für eine Frau, wenn sie zu schlau ist.« Soging es noch minutenlang weiter, erst handelte er die Frauen ab, dann die Pferde und noch allerlei Themen mehr.
Cole unterdrückte einen Seufzer. »Pop, ist es nicht Zeit für deine Medizin? Du weißt, Susannah möchte, dass du sie jeden Tag zur gleichen Zeit nimmst.«
Er winkte ungeduldig ab. »Pah, Medizin! Das Zeug schmeckt nach Terpentin und hilft überhaupt nicht. Ich bin immer noch so steif wie John Browns Leiche.« Trotzdem hievte er sich vom Schemel hoch und schlurfte zu Muley. »Ich verzieh mich wieder zu Tilly’s. Dort gibt’s bessere Medizin.«
Cole sah zu, wie sein schwächlicher, dickköpfiger Vater auf den Rücken seines Wallachs kletterte. Er konnte sich leicht vorstellen, wie Pop mit ein paar Drinks zu viel intus aus dem Sattel kippte. »Geh’s langsam an mit dem Whiskey, Pop. Es ist noch ein bisschen früh dafür. Am besten hole ich dich ab, wenn du nach Hause möchtest.«
»Den Teufel wirst du. Ich habe schon auf einem Pferderücken gesessen, bevor
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