Heimkehr am Morgen (German Edition)
unterwerfen. Oft war es ihm gelungen, auch bei ihr. Sie nippte an ihrem Wasser, um den schmerzenden Knoten unterdrückter Wut und Reue in ihrem Hals hinunterzuschlucken.
Entschlossen, die wachsenden Zweifel nicht weiter zu nähren, sagte sie: »Amy, in New York mag es prächtige Häuser und elegante Viertel geben, aber du weißt, dass ich in einer Pension gewohnt habe. Ich werde hier mehr Privatsphäre haben als dort. Und in einer richtigen Praxis kann ich die Patienten bestimmt besser behandeln als in einem Hotelzimmer. Aber Bürgermeister Cookson glaubt sowieso nicht, dass ich allzu viel zu tun haben werde.«
»Wahrscheinlich mehr, als du denkst. Mich haben schon einige Leute gefragt, ob du sie wohl untersuchen würdest, solang du hier bist. Und das war vor deinem Gespräch mit dem Bürgermeister.«
Jessica fand diese Vorstellung abschreckend, und sie musste an Eddie Cookson denken. »Da könntest du recht haben.«
»Ich komme vorbei und helfe dir dabei, dich einzurichten – ach nein, warte, ich muss ja in die Schulkantine, um für das Rote Kreuz Verbände aufzuwickeln. Und danach ist die Veranstaltung des Kriegsanleihen-Komitees im Park. Mist, das wird den restlichen Tag in Anspruch nehmen.«
Amy war wirklich eine Wohltäterin.
Plappernd brachte sie Jess auf den neuesten Stand über Hochzeiten, Todesfälle und gefallene Soldaten.
Während sie sich unterhielten, blieb ein mittelgroßer, dunkelhaariger Mann vor dem Fenster stehen und blickte über die halbhohen Spitzenvorhänge zu ihnen hinein.
Amy winkte, aber sein Blick glitt zu Jess und verweilte dort. Er lächelte und ging hastig weiter.
»Wer war das?«, wollte Jessica wissen. Er kam ihr bekannt vor, sie konnte ihn aber nicht einordnen.
»Das ist Adam Jacobsen, weißt du nicht mehr?«, schaltete sich Cole ein und blickte ihr den Bruchteil einer Sekunde in die Augen. »Er ist seit dem Tod seines Vaters unser Pfarrer.«
»Ja, weißt du nicht mehr, Jess?«, wiederholte Amy. »Ich habe dir doch geschrieben, dass der alte Reverend Jacobsen letztes Frühjahr gestorben ist.«
»Ach ja, ich glaube, das hast du.« So sah Adam also jetzt aus.
»Ich arbeite im Kriegsanleihen-Komitee mit ihm zusammen«, schwatzte Amy weiter. »Das ist eine unheimlich wichtige Aufgabe, das kann ich dir sagen. Das Geld wird so furchtbar dringend gebraucht. Adam vollbringt wahre Wunder – ich schwöre, er könnte noch aus einem Felsen Geld herauspressen. Er bringt praktisch jeden dazu, Kriegsanleihen zu kaufen.«
Jess wollte nicht über Adam Jacobsen reden. »Im Osten habe ich mehrere solcher Paraden gesehen. Sie zogen ein riesiges Publikum an, Zehntausende«, erklärte sie. »Bei einer war sogar Mary Pickford dabei.«
Cole hob die Augenbrauen. »Wirklich? Wir haben vielleicht keine Mary Pickford, aber dafür den Soldaten Eddie Cookson.«
»Der krank ist«, ergänzte Jessica stirnrunzelnd. »Ich hoffe, sein Vater hat ihn inzwischen nach Hause gebracht. Wie ich gehört habe, wird er in Camp Lewis ausgebildet.«
»Das stimmt«, sagte Amy. »Er ist gestern Morgen auf Heimaturlaub gekommen. Sein Vater hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit er ein paar Tage freibekommt. Eddie ist persönlich von Tür zu Tür gegangen, um Spenden zu sammeln. Adam hat ihn begleitet – ich glaube, sie haben kein einziges Haus oder Geschäft ausgelassen. Der arme Eddie. Vielleicht war die Aufregung zu viel für ihn. Ich hätte zwar nicht gedacht, dass er gleich umkippt, aber ich hoffe, sein Vater hat ihn nicht nach Hause gebracht. Er soll heute Nachmittag beim Kriegsanleihen-Picknick im Park auftreten. Alle werden dort sein. Er ist unsere Hauptattraktion.«
»Ich finde, er sollte zu Hause im Bett sein.«
»Aber – aber – das geht nicht! Wir haben sehr wichtige Pläne. Pläne, die seine Teilnahme erfordern.« Amy blickte zu dem wolkenlosen Himmel hinter der Scheibe. »Sogar das Wetter spielt mit. Heute ist ein sonniger Tag, das gibt es in dieser Jahreszeit nicht so oft. Ich habe mir die ganze Woche lang Sorgen gemacht. Du weißt, wie regnerisch es im Oktober sein kann. Wir brauchen Eddie.«
Cole aß das letzte Stück seiner Forelle. Sie lag ihm wie ein Stein im Magen. »Adam Jacobsen dürfte auch ohne Eddie klarkommen.«
Amy lehnte sich zurück und verschränkte die Hände. »Wenn ich an Riley denke, dann weiß ich, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun müssen. Wir haben uns alle solche Sorgen gemacht, weil er drüben in Frankreich kämpft, nicht wahr, Cole?«
»Es
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