Heimliche Wuensche
auf der Hutkrone thronte, ehe sie den Hut samt Putz in die Schachtel zurücklegte. »Erst letzte Woche haben Mr. und Mrs. Mankin eine sehr hübsche Gartenparty veranstaltet, und der Erntedankfestball wird diesmal von Mr. und Mrs. Taggert ausgerichtet.«
Terel schnaubte: »Ein so hübscher Batzen Geld in den Händen einer so ungehobelten Familie. Jeder weiß, daß die Taggerts nicht viel besser sind als gemeine Grubenarbeiter.«
»Sie scheinen mir durchwegs nette Leute zu sein.«
»Oh, Nellie, in deinen Augen sind alle Menschen nett.« Terel stützte sich auf einen Ellenbogen und sah zu, wie ihre Schwester ihre Kleider wegräumte. Erst letzte Woche, wohl zum tausendsten Mal, hatte sie jemanden sagen hören, was für ein außergewöhnlich hübsches Gesicht Nellie habe und daß es ein Jammer wäre, daß sie so dick sei. Terel hatte sogar beobachtet, wie Marc Fenton Nellie verstohlen betrachtete. Marc war gutaussehend und reich. Und wenn er schon jemanden ansah, dann sollte das sie, Terel, sein.
Terel stand vom Bett auf, ging zur Frisierkommode, zog eine Schublade auf und entnahm ihr eine Schachtel Pralinen. »Ich habe ein Geschenk für dich, Nellie«, sagte sie.
Nellie drehte sich um und lächelte ihre geliebte kleine Schwester an. »Du solltest mir nichts schenken. Ich habe alles, was ich brauche.«
Nellie strahlte über das ganze Gesicht, wenn sie lächelte. Terel hatte eine Frau sagen hören, Nellie könnte mit ihrem Lächeln ein ganzes Zimmer zum Leuchten bringen. »Du willst doch nicht etwa ein Geschenk von mir zurückweisen?« fragte Terel, ihre Unterlippe zu einem hübschen Schmollmund vorschiebend. Sie hielt ihrer Schwester die Pralinenschachtel hin, und Nellies Gesicht sah nun ein bißchen bedrückt aus. »Du willst es nicht haben«, rief Terel, den Tränen nahe.
»Doch, natürlich möchte ich es haben.« Nellie nahm ihrer Schwester die Pralienschachtel aus der Hand. »Ich hatte mir nur vorgenommen, weniger zu essen, um abzunehmen.«
»Du brauchst nicht abzunehmen«, sagte Terel. »Für mich siehst du schön aus.«
Das Lächeln kehrte auf Nellies Gesicht zurück. »Vielen Dank, Liebes. Es tut gut, daß ich einen Menschen habe, der mich so mag, wie ich bin.«
Terel legte ihren schlanken Arm um Nellies plumpe Schultern. »Laß dir nur von keinem einreden, daß du dich ändern sollst. Du bist schön, so wie du bist, und die Tatsache, daß die Männer dich nicht mögen, hat überhaupt keine Bedeutung. Was wissen die denn schon? Vater und ich lieben dich, und wenn wir auch die einzigen sind, die dir dieses Gefühl entgegenbringen, ist das vollkommen in Ordnung. Wir mögen dich so sehr, daß wir dir damit die Liebe aller Männer dieser Welt ersetzen.«
Nellie spürte plötzlich großen Hunger. Sie wußte nicht, warum Terels liebevolle Worte dieses Hungergefühl in ihr auslösten. Aber es war nun einmal so. Ihr erschien das widersinnig, doch offenbar bestand irgendein Zusammenhang zwischen Zuneigung und Essen. Wenn Terel zu ihr sagte, sie würde sie lieben, bekam Nellie sofort Hungergefühle.
»Ich denke, ich werde doch mal eine von deinen Pralinen kosten«, sagte Nellie, und ihre Hände zitterten, als sie den Deckel von der Schachtel nahm. Und dann steckte sie gleich drei von diesen Köstlichkeiten gleichzeitig in den Mund.
Terel wandte sich ab und lächelte. »Was soll ich nun heute abend anziehen?«
Nellie bediente sich noch rasch mit einer vierten Praline. »Was du gerade anhast, ist wunderbar«, sagte sie, das gefüllte Stück Schokolade hinunterschluckend. Sie spürte, daß sie ihre Hungergefühle wieder beherrschen konnte.
»Diesen schrecklichen alten Fetzen? Nellie, ich habe das Kleid nun schon ein halbes Dutzend Mal getragen. Jeder kennt es inzwischen.«
»Zweimal«, sagte Nellie nachsichtig und verschloß die letzte der drei Hutschachteln. »Und unser Gast heute abend kennt dich noch gar nicht. Also kann er auch das Kleid nicht gesehen haben.«
»Wahrhaftig, Nellie! Du verstehst einfach nicht, wie man sich fühlt, wenn man eine attraktive Frau und so jung ist wie ich und das ganze Leben noch vor einem liegt. Deine Jugend liegt doch noch nicht so lange zurück, daß du dich nicht daran erinnern könntest.«
Nellie spürte nun abermals Hungergefühle. »Terel, ich bin nicht so alt, wie du zu glauben scheinst.«
»Natürlich bist du nicht alt. Du bist nur . . . nun, Nellie, ich will ja nicht unfreundlich sein, aber du bist einfach nicht mehr auf dem Markt. Ich bin es aber. Und ich muß so gut
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