Heinrich Mueller 05 - Mordswein
zu seiner gepflegten Erscheinung.«
»Die schwarze Baumwollhose, der rote Wollveston und der hellbraune Schal passen auch nicht exakt zur Jahreszeit«, erklärte Spring. »Es sei denn, er kommt direkt vom Jungfraujoch.«
»Zwei Morde in einer Woche! Ein bisschen viel für Bern und Umgebung, findest du nicht?«, sagte Müller zu niemand Bestimmtem.
»Meurtre?«, schnappte der Neuenburger nach Luft. »Et comment? Zwei Morde?«
»Haben aber bisher nichts weiter miteinander zu tun, als dass sie in der Luftlinie nur gut 20 Kilometer voneinander entfernt geschehen sind. Vom andern Opfer kennen wir nur den Namen. Jetzt untersuchen wir natürlich, ob es Zusammenhänge gibt. Aber auf den ersten Blick haben die beiden Tötungen nichts miteinander zu tun. Weder das Vorgehen noch die Opfer lassen auf Gemeinsamkeiten schließen«, erklärte der Störfahnder. »Hier ein Politiker, der demonstrativ an einem allen zugänglichen öffentlichen Ort erschossen worden ist, dort ein Familienvater, den man in eine primitive Falle gelockt und seiner Habseligkeiten beraubt hat.«
»Das ist mir egal«, sagte der Kommissar. »Tun Sie Ihre Arbeit. Ich empfehle mich. Meine Karte, falls Sie mich noch einmal brauchen. Bonne chance!«
Einen derartigen Abgang hatten die beiden von einem Westschweizer noch nie erlebt. Es war eher eine Flucht als ein freundeidgenössisches Abschiednehmen.
»Soll ich das Wort sagen?«, fragte Müller leise.
»Bitte. So lange ich im Dienst bin, bist du dafür zuständig.«
»Scheiße!«, brüllte der Detektiv über die Brüstung der Terrasse auf den See hinaus, und nach der leider nicht mehr so beliebten Chaos-Theorie hätte dieser inbrünstige Ausruf auf dem Wasser mindestens eine kleine Windhose hervorrufen müssen.
Aber nichts geschah.
Nicht einmal der Tote rührte sich vom Fleck. Zwei Sanitäter standen abseits im Gras, rauchten eine Zigarette und warteten auf einen Einsatzbefehl, den ihnen nun Bernhard Spring mit einer müden Geste erteilte. Sie schoben ein zusammenklappbares Gestell auf den Bergamasker Schiefer aus Branzi und hoben den Aufbaupolitiker aus Bern auf den Schragen. Um die Beseitigung des Blutes und allfälliger anderer Restbestandteile des Mannes würde sich eine auf die Reinigung von Tat-, Unfall-und Leichenfundorten spezialisierte Firma kümmern.
»Das einzig Interessante am Menschen ist seine kulturelle Vielfalt. Sonst wäre er auch nur ein Affe unter vielen Affen«, sagte Müller als Abschied von der Hochkultur.
»Ich könnte jetzt ein totes Tier vertragen«, meinte Spring, nachdem sie im Auto saßen. »Aber ohne Blut.«
»Wie wär’s mit einer kross gebratenen Forelle?«
»Tönt gut.«
»Dann schlage ich vor, wir fahren Richtung Val de Travers, nur gute zehn Minuten von hier nach Champ-du-Moulin. Dort liegt das Restaurant ›De la Truite‹ idyllisch auf der einzigen flachen Wiese zwischen den beiden Teilen der Gorges de l’Areuse, also der Schlucht zwischen Boudry und Noiraigue, zwischen dem Felsengpass und dem Wasserfall ›Saut de Brot‹.«
»Ja, gut, etwas Brot nehme ich auch dazu«, bemerkte der Störfahnder. Er wusste, der Witz war schlecht, miserabel, aber er hatte keinen besseren auf Lager, nicht nach diesem Morgen.
Das Restaurant war schnell aufgestöbert, ein letzter Tisch im Freien ließ sich mitten unter den Ferienwanderern noch finden, und bis der Fisch auf dem Teller lag, spülten die beiden den Ärger mit frischem Chasselas herunter.
»Glaubst du, es ist ein literarischer Mord?«, fragte Bernhard unvermittelt, nachdem er ein Weilchen über seinem Glas gegrübelt hatte.
»Wie meinst du das?«, entgegnete Heinrich.
»Das Centre Dürrenmatt als Handlungsort. Etwas gar pathetisch, findest du nicht? Vielleicht will uns jemand einen Hinweis geben.«
Müller fiel nichts ein, was er darauf erwidern konnte.
»Ich meine«, fuhr Spring fort, »Dürrenmatt hat doch Kriminalromane geschrieben. Vielleicht geben die einen Hinweis auf ein Motiv. Denn aus dem Profiling wissen wir, dass uns Täter mit einem symbolischen Tatort etwas mitteilen möchten.«
»Das war aber schon in Gaicht der Fall«, überlegte Müller weiter. »Möglicherweise hängen die beiden Delikte ja doch zusammen.«
»Vorerst an einem seidenen Faden«, sagte der Störfahnder noch, bevor er sich dem Fisch auf seinem Teller widmen konnte und darüber für ein paar Augenblicke die Übel dieser Welt vergaß.
Mittwoch, 21.7.2010
1984 hatte Heinrich Müller nach reiflicher Überlegung in einem
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