Heinrich Spoerl
alles vergessen und schwimmt in Milch und Honig. Und wenn sie anstandshalber fragt: Du hast wohl etwas warten müssen? Dann sagt man lieb und galant, um ihr die Beschämung zu ersparen: O nein, ich bin eben erst gekommen. Darauf sie: So! Das ist ja reizend! Wenn ich nun pünklich gewesen wäre, dann hätte ich also eine geschlagene halbe Stunde auf dich warten müssen. Du, das mache ich nicht noch einmal.
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Am unerfreulichsten ist es im Wartezimmer, beim Arzt, beim Anwalt. Man hat Lampenfieber und wühlt sich in zerlesene Zeitschriften; man kann es den Zeitschriften ansehen. Beim Zahnarzt wartet man gern, man hat Angst, und es kommt einem vor wie eine letzte Galgenfrist. Und auf einmal sind vor lauter Angst die Zahnschmerzen weggeblasen; man würde umkehren, wenn man sich nicht genierte. Und nachher ist es dann halb so schlimm. Beim Anwalt ist es umgekehrt: Man erfährt erst durch ihn, wie kompliziert das alles ist, und daß man eher hätte kommen müssen.
Vornehmes Warten nennt man Antichambrieren. Vornehm auf Seiten dessen, der Warten läßt. Große Herren sind stark beschäftigt, ihre Zeit ist in Minuten aufgeteilt. Würden sie den Besucher sofort vorlassen, so kämen sie in den Verdacht, als hätten sie Zeit oder gar auf den Besucher gewartet.
Außerdem wirkt Warten erzieherisch. Durch Warten wird man klein und hässlich; wenn man zwei Stunden gesessen hat, ist man winzig wie eine Maus, hat alles vergessen, was man sagen wollte, und ist am Ende froh, daß man noch was gesagt bekommt. Erst nachher auf der Treppe wird man wieder groß und mutig und weiß, was man hätte schmettern sollen. Und was man zu Hause erzählen wird.
Es gibt auch Leute von Charakter. Wenn sie warten müssen, speichert sich ihre Wut, sie schwellen innerlich, bis sie auf einmal explodieren, dann springen sie auf, rennen die Lakaien über den Haufen, reißen mit frevler Hand die saffiangepolsterte Tür auf und stehen vor dem Schreibtisch oder Thron des Großmächtigen. Dem dann nichts anderes übrig bleibt, als sich über den Beherzten zu freuen oder ihn zu engagieren. O ja, das gibt es. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Im Film zum Beispiel.
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Falsches Warten kann zum Verhängnis werden. In verzweifelten Lagen wartet man auf das große Wunder. Manchmal kommt es wirklich, aber dann stellt sich heraus, daß es gar kein Wunder ist, sondern eine ganz natürliche Sache. Wirkliche Wunder sind rar. Meist geschieht das Wahrscheinliche.
Oft ist das Warten der Strohhalm, an den wir uns klammern. Im Grunde genommen warten wir alle auf irgend etwas, täglich und stündlich, auf das Glück in irgendeiner Form. Wenn man will, kann man sich daraus eine Lebenslüge bauen, sie kostet nichts und hilft das Warten ertragen. Vielleicht tun wir das alle ein bisschen, ohne es zu wissen oder zuzugeben.
Richtiges Warten dagegen ist eine Kunst. Man könnte eine Philosophie darüber schreiben. Besser noch ein Praktikum. Die Kunst des Wartens besteht darin, inzwischen etwas anderes zu tun.
Warten will gelernt sein. Kinder können es am schlechtesten, obgleich sie die meiste Zeit dazu haben. Wenn man es gelernt hat, ist man alt und hat keine Verwendung mehr dafür.
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Als ich einmal warten mußte, habe ich mir ein Märchen erdacht: Es war einmal ein junger Bauer, der wollte seine Liebste treffen. Er war ein ungeduldiger Gesell und viel zu früh gekommen. Und verstand sich schlecht aufs Warten. Er sah nicht den Sonnenschein, nicht den Frühling und die Pracht der Blumen. Ungeduldig warf er sich unter einen Baum und haderte mit sich und der Welt.
Da stand plötzlich ein graues Männlein vor ihm und sagte: Ich weiß, wo dich der Schuh drückt. Nimm diesen Knopf, und nähe ihn an dein Wams. Und wenn du auf etwas wartest und dir die Zeit zu langsam geht, dann brauchst du nur den Knopf nach rechts zu drehen, und du springst über die Zeit hinweg bis dahin, wo du willst.
Das war so recht nach des jungen Burschen Geschmack. Er nahm den Zauberknopf und machte einen Versuch und drehte: und schon stand die Liebste vor ihm und lachte ihn an. Das ist schön und gut. dachte er, aber mir wäre lieber, wenn schon Hochzeit wäre. Er drehte abermals: Und saß mit ihr beim Hochzeitsschmaus, und Flöten und Geigen klangen um ihn. Da sah er seiner jungen Frau in die Augen: Wenn wir doch schon allein wären. Wieder drehte er heimlich, und da war tiefe Nacht und sein Wunsch erfüllt. Und dann sprach er über seine Pläne. Wenn unser neues Haus erst fertig ist – und
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