Heinrich Spoerl
drehte von neuem an dem Knopf: da war Sommer, und das Haus stand breit und leer und nahm ihn auf. Jetzt fehlen uns noch die Kinder, sagte er, und konnte es wiederum nicht erwarten. Und drehte schnell den Knopf: Da war er älter und hatte seine Buben auf den Knien, und Neues im Sinn und konnte es nicht erwarten. Und drehte, drehte, daß das Leben an ihm vorbeisprang, und ehe er sich's versah, war er ein alter Mann und lag auf dem Sterbebett. Nun hatte er nichts mehr zu drehen und blickte hinter sich. Und merkte, daß er schlecht gewirtschaftet hatte. Er wollte sich das Warten ersparen und nur die Erfüllung genießen, wie man Rosinen aus einem Napfkuchen nascht. Nun, da sein Leben verrauscht war, erkannte er, daß auch das Warten des Lebens wert ist und erst die Erfüllung würzt. Was gäbe er darum, wenn er die Zeit ein wenig rückwärts schrauben könnte! Zitternd versuchte er den Knopf nach links zu drehen. Da tat es einen Ruck, er wachte auf und lag noch immer unter dem blühenden Baum und wartete auf seine Liebste. Aber jetzt hatte er das Warten gelernt. Alle Hast und Ungeduld war von ihm gewichen; er schaute gelassen in den blauen Himmel, hörte den Vöglein zu und spielte mit den Käfern im Grase. Und freute sich des Wartens.
Norderney am Rhein
In meiner Jugend war das ganz anders. Baden tat man in der Badewanne oder im Seebad. In der Badewanne war man für sich, in der See gewissermaßen auch. Herren- und Damenbad lagen an entgegengesetzten Enden der Insel, und das Damenbad war auf Kilometer hinaus durch Stacheldraht gesichert. Ich selbst bin darin hängen geblieben. Es war eine Festung.
Doch es hatte sich herumgesprochen: Von einer ganz bestimmten Dünenspitze aus, mit einem guten Teleskop, zwischen Mulden und Senkungen hindurch, konnte man bei gutem Wetter ein paar Quadratmeter Damenstrand sehen. Es war in der Tat sehenswert. Ein Damenbadeanzug der damaligen Zeit bestand aus einem dickstoffigen, schlotternden Sack, der oben am Kinn und unten am Knöchel zugebunden war. Darüber noch ein Röckchen in mehreren Etagen. Nur starke Damen konnten die Last tragen. Damals waren die Damen stark. Einen zweiten, kleineren Sack trugen sie auf dem Kopf. Er war aus gelbem Ölstoff und mit Pompons verziert und barg der Locken schwere Pracht.
Besagte Dünenspitze war täglich schwarz von heimlichen Männern und Fernrohren. Sie hielt dem Andrang auf die Dauer nicht stand, wurde allmählich niedergetreten und nutzte sich zusehends ab. Eines Tages war sie nicht mehr hoch genug, und man schritt zur Gründung des Familienbades.
Heute hat jedes Dorf sein eigenes Norderney. Der Rhein ist besonders geeignet, die weißen Dampfer und schwarzen Schlepper sorgen eifrig für Brandung, die Wasser rauschen und schwappen um die Kribben, es riecht förmlich nach Salz und Seetang. Die Rheinwiesen sind sonnig und sandig und weit, und wippende Weidenbüsche geben lustige Umkleidekabinen.
Man kann auch zwei Fahrräder auf den Kopf stellen und Decken und Laken darüber spannen. Dann hat man ein Zelt, unter dem sich ein handfestes Familienleben entwickelt. Die Oma kocht, die Tante badet die Kinder, der Vater schimpft, und Mutter liegt in der Sonne. So hat jeder zu tun.
***
Da ist eine, die läuft herum und hat nichts an. Kein Trikot, kein Höschen, kein Tüchlein, kein Gar nichts. Sie ist, mit Verlaub zu sagen, splitter-, pudel – hm – die Maler, die alle kein ›n‹ sprechen können, würden Akt sagen. Sie ist nur eingehüllt in Luft und Sonne und zartgebräunte Haut. So stapft sie durch Strand und Wasser, schaut mit blanken Kirschenaugen um sich, und alle, alle haben ihre Freude daran.
Bis die Mutti ruft: »Komm her, Titti, da kommt ein Schiff.« Das Schiff ist ein Paddelboot, und Titti wird Weihnachten zwei Jahre. Kajaks planschen heran und schieben sich auf den Strand; rote, blaue, grüne, weiße und gestreifte. Feudale mit straff gespannter Silberhaut, andere altersmüde und faltig mit durchhängendem Rückgrat. Fast alle sind paarweise besetzt. Schiffseigner sind begehrte Partner. (Ich las ein Inserat: Student mit Außenbordmotor sucht Sportfreundin.)
Im Paddelboot erprobt man seine Zukünftige. Wenn sie sich rücklings setzt, die pedikürten Füßchen rechts und links im Wasser und die Zigarette zwischen den rotlackierten Nägeln, während er wie ein Kuli gegen die Strömung ackert, dann weiß er, was ihn erwartet, wenn er – Er wird nicht. Wenn sie aber wie besessen schuftet, nicht nur paddelt, sondern auch steuert und
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