Heirate nie einen Italiener
sich.
“Mamma”, sagte Helen verunsichert, “ich habe einen Gast mitgebracht. Ich hoffe, es macht dir …”
“Das ist mir nicht entgangen”, fiel ihre Mutter ihr ins Wort und schenkte ihr ein anerkennendes Lächeln. “Als dein Vater mir gesagt hat, um wen es sich handelt, habe ich sofort den Champagner aus dem Kühlschrank geholt.”
“Kennt Poppa ihn denn?”, fragte Helen entgeistert.
“Er hat ihn doch vor zwei Tagen vom Flughafen abgeholt und ins Elroy gebracht. Dort hast du ihn sicherlich kennengelernt. Haben wir dir nicht einen wunderbaren Ehemann ausgesucht?”
Helen fühlte sich plötzlich benommen. Ein dichter Schleier legte sich um sie und trübte ihre Sinne – doch leider nicht genug, um die grausame Wahrheit von ihr fernzuhalten, die ihr ebenso deutlich vor Augen stand wie jener Mann, dem ihr Vater freudig die Hand schüttelte. “Herzlich willkommen, Lorenzo”, hörte sie ihn noch sagen, bevor ihre Schwestern ihn beiseitedrängten, um den Besucher ins Haus zu führen.
Kurz bevor sie den Eingang erreichten, drehte Lorenzo Martelli sich noch einmal zu Helen um. Ihren wütenden Blick erwiderte er mit einer stummen Geste, in der sich Schuldbewusstsein, Hilflosigkeit und Schalk die Waage hielten.
2. KAPITEL
“W enn du wüsstest, wie glücklich du mich machst”, sagte Helens Mutter gerührt. “Ich kann es kaum erwarten, Tante Lucia anzurufen und …”
“Bitte, Mamma”, unterbrach Helen sie. Der Gedanke, dass sich die Episode wie ein Lauffeuer verbreiten würde, war ihr ausgesprochen peinlich. “Vielleicht wartest du damit lieber noch.”
“Du hast völlig recht”, zeigte sich ihre Mutter einsichtig, “wir überraschen sie lieber mit der Einladung zu eurer Hochzeit.”
“Ich habe nicht vor, ihn zu heiraten”, widersprach Helen bestimmt.
“Wie bitte?” Signora Angolini war wie vor den Kopf geschlagen. “Ich höre wohl nicht richtig? Ein anständiges Mädchen wie du würde es doch nie wagen, einen Mann in aller Öffentlichkeit zu küssen, wenn sie ihn nicht heiraten will.”
Helen war versucht zu gestehen, dass sie zu diesem Zeitpunkt nicht einmal den Namen des Mannes gekannt hatte. Doch diese Schmach wollte sie ihrer Mutter nicht auch noch antun.
“Lass uns ins Haus gehen”, schlug sie vor, auch wenn sie nicht die geringste Lust verspürte, demjenigen unter die Augen zu treten, der sie in die Sackgasse manövriert hatte, in der sie sich befand. Doch noch weniger Wert legte sie darauf, sich weiterhin den neugierigen Blicken der Nachbarn auszusetzen, die hinter den Gardinen standen und gespannt auf die Fortsetzung der anrührenden Liebesszene zu warten schienen.
Die Wohnung der Familie befand sich direkt über der Fleischerei, die Nicolo Angolinis ganzer Stolz war. Für ein Ehepaar mit vier Töchtern war sie gerade groß genug, doch nun herrschte eine bedrohliche Enge, weil sich zur Feier des Tages außer den drei Söhnen mitsamt ihren Familien auch ein erheblicher Teil der Verwandtschaft eingefunden hatte, in deren Mitte ein lächelnder Lorenzo Martelli stand.
Als Helen die Wohnung betrat, wusste sie auch, was in der großen Ledertasche gewesen war. Lorenzo hatte seinen Gastgebern sizilianische Delikatessen mitgebracht, bei deren Anblick Signora Angolini in Tränen ausbrach, so sehr überwältigte sie die Erinnerung an ihre Heimat, die sie zuletzt als kleines Kind gesehen hatte.
Als sie sah, wie glücklich er ihre Mutter gemacht hatte, war Helen versucht, Lorenzo alles andere zu verzeihen. Glücklicherweise blieb es ihr erspart, weil ihre Schwestern sie jäh in die Wirklichkeit zurückholten.
“Er sieht einfach umwerfend aus”, flüsterte Patrizia, und Olivia und Carlotta nickten zustimmend. “Du bist ein Glückskind, Elena.”
“Erstens heiße ich Helen, und zweitens will ich kein Wort mehr hören”, schimpfte sie. “Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?”
“Versprichst du mir, dass ich deine Brautjungfer sein darf?” Carlotta war erst fünfzehn, und vor lauter Aufregung hatte sie vergessen, wie aufbrausend ihre große Schwester sein konnte.
“Wenn du nicht sofort still bist, verspreche ich dir eine Tracht Prügel!”
Die drei Mädchen tauschten vielsagende Blicke aus, als hätten sie vollstes Verständnis dafür, dass Elena momentan besonders empfindlich war.
Helen ließ ihre Schwestern einfach stehen und bahnte sich einen Weg zu Lorenzo. “Wir haben noch ein Hühnchen miteinander zu rupfen”, flüsterte sie lächelnd, damit keiner der
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