Heirate nie einen Italiener
eisiger Wind, und die Luft roch förmlich nach Schnee.
Erst als ihr Begleiter das Taxi bezahlt und sich zu Helen umgedreht hatte, bemerkte er, dass sie beobachtet wurden. Instinktiv wusste er, was er zu tun hatte, und der Strafe, die unausweichlich folgen würde, sah er gelassen entgegen. Wenn sein Plan auch nur annähernd aufging, wäre er reichlich entschädigt.
“Wir werden beobachtet”, sagte er. “Wie wäre es, wenn wir Ihrer Familie etwas bieten?”
“Und was, wenn ich fragen darf?”
“Ich dachte an das hier”, erwiderte er und zog sie an sich. Ehe sie sich’s versah, hatte er sich zu ihr hinuntergebeugt, sodass sich ihre Lippen beinahe berührten.
“Was machen Sie?” Der Anschlag auf ihre Sinne war so plötzlich gekommen, dass Helen nicht sagen konnte, ob es sich bei dem Gefühl, das die unvermittelte Nähe in ihr auslöste, um Empörung oder Erregung handelte.
“Ich tue so, als ob wir uns schon länger kennen würden”, erwiderte er betont sachlich. “Darum hatten Sie mich doch gebeten. Oder haben Sie es sich inzwischen anders überlegt und wollen einen dicken, unansehnlichen Italiener heiraten?”
Helen war außerstande, einen klaren Gedanken zu fassen. Natürlich hatte sie es sich nicht anders überlegt, doch ob sie das gemeint hatte, als sie den Fremden um Hilfe gebeten hatte, wagte sie zu bezweifeln. Andererseits hatte er sicherlich recht, und je überzeugender ihre Vorstellung geriet, umso eher würden ihre Eltern einsehen, dass sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht hatten. Nur, wie sollte sie sich in diesem Wirrwarr von Fragen, Vermutungen und Hoffnungen zurechtfinden, wenn die Nähe dieses faszinierenden Mannes sie in einem Maß erregte, das ihr geradezu unheimlich war?
“Normalerweise küsse ich keine Männer, die ich gerade erst kennengelernt habe”, erklärte sie verunsichert.
“Niemand dort drinnen weiß, wie lange wir uns kennen – oder wie kurz.”
Sein Einwand war nicht von der Hand zu weisen. Doch etwas in Helen sträubte sich immer noch, sich auf das Spiel mit dem Feuer einzulassen. “Ich weiß doch noch nicht einmal, wie Sie hei…”
Der sanfte Druck seiner Lippen erstickte das letzte Wort. Im selben Moment wurde der Griff um ihre Taille kaum merklich fester, als wollte ihr der Fremde wortlos zu verstehen geben, dass es Teil ihrer Verabredung sei und nichts mit irgendwelchen Gefühlen zu tun habe.
Dafür sprach auch, dass die Berührung seiner Lippen verriet, wie viele Frauen er vor ihr geküsst haben musste. Diesen Lippen war nichts fremd, erst recht nicht die Kunst, eine junge Frau im Handstreich zu erobern.
“Es würde überzeugender wirken, wenn du meinen Kuss erwiderst”, flüsterte er unvermittelt, als hätte er Helens Zwiespalt erraten.
Ihr Verstand warnte sie nachdrücklich, doch ihre Hände hatten den Weg zum Nacken des Fremden schon gefunden. Im nächsten Moment öffnete sie die Lippen, um ihm zu signalisieren, wie sehnsüchtig sie seinen Kuss erwartete. Sie erwiderte ihn mit einer Leidenschaft, die ihr in aller Deutlichkeit klarmachte, dass es längst nicht mehr darum ging, überzeugend zu wirken. Was sie tat, tat sie einzig und allein deshalb, weil sie es nicht anders wollte.
Endlich konnte sie sich dazu durchringen, ihn sanft von sich zu drücken. “Das sollte reichen”, sagte sie verlegen, um leise hinzuzufügen: “Fürs Erste jedenfalls.”
“Wir haben doch noch nicht einmal angefangen”, widersprach der Mann scheinbar ungerührt. Doch Helen meinte in seiner Stimme eine Unsicherheit bemerkt zu haben, und seine Augen schimmerten dunkler als ohnehin. Offensichtlich waren die Innigkeit und Heftigkeit ihres Kusses auch für ihn überraschend gekommen.
“Lass mich bitte los”, forderte sie ihn auf, weil sie wusste, dass es um sie geschehen wäre, wenn sie sich nicht augenblicklich von diesem faszinierenden Mann losriss. “Sonst zückt Lorenzo Martelli noch sein Messer”, setzte sie deutlich freundlicher hinzu.
“Er soll ruhig kommen”, erwiderte der Fremde gelassen. “Heute nehme ich es mit jedem auf.”
Im selben Moment wurde die Haustür aufgerissen, und ein Stimmengewirr erklang. Sekunden später stand ihre Mutter an ihrer Seite, und zu Helens Erstaunen lag in ihrem Blick nicht etwa Empörung, sondern vielmehr Bewunderung und ein Ausdruck reinen Glücks.
“Ich habe immer gewusst, dass du eines Tages zur Besinnung kommst”, begrüßte Mrs. Angolini ihre älteste Tochter überschwänglich und drückte sie an
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