Heiße Rache, süße Küsse (Julia) (German Edition)
entdeckte, dass sie ihre außergewöhnliche Augenfarbe von ihm geerbt hatte, er jedoch hatte sie nicht einmal erkannt. Sie musste Wellen der Übelkeit niederkämpfen, denn plötzlich fühlte sie sich wieder in die Kindheit zurückversetzt, in der er schwitzend und fluchend über ihr gestanden hatte, den Gürtel in seiner Hand mit ihrem Blut beschmiert.
Unwirsch hatte Jesse seinen plumpen Versuch, sie zu einer Investition zu überreden, unterbrochen und war aufgestanden. Als ihm dann klar wurde, wer sie war, hatte er sich sofort wieder in den Tyrann verwandelt. Mit abfälligem Blick hatte er sie taxiert. „Erzähl mir nicht, das soll kleingeistige Rache sein. Hast du etwa nachts wach gelegen und dir diesen Moment ausgemalt?“
Ja, das hatte sie. Es war das Einzige, was sie in den Jahren der trostlosen Einsamkeit aufrechterhalten hatte, als die Welt nach dem Tod ihrer Mutter zu einem Ort von Feindseligkeit, Unsicherheit und Angst geworden war, bevölkert von gesichtslosen Sozialarbeitern und Pflegeeltern.
„Du bist genauso erbärmlich wie deine Mutter“, hatte er gezischt. „Ich hätte sie damals zwingen sollen, dich nicht auszutragen. Aber sie hat mich angebettelt, und ich gab nach. So dankst du mir das also heute?“
Jesse hatte sich auf den Triumph konzentriert, der so kurz bevorstand, und Kraft daraus geschöpft. „Dieser Moment ist nur das Ergebnis meiner Anstrengungen, dich zu Fall zu bringen. Es gibt niemanden mehr, der dir helfen wird. Schon bald wirst du in Vergessenheit geraten … und ich werde Zeugin deines Untergangs.“
Bei der Erinnerung an den unerfreulichen Zusammenstoß schauderte Jesse. Sie wünschte das Triumphgefühl zurück, doch es wollte nicht kommen. Sie war einfach nur müde. Da hatte sie so lange gearbeitet, und jetzt … alles umsonst. Es gab nichts, was sie trotz all ihrer Mühe vorweisen konnte.
Sie stellte die Tasse ab, ging ans Fenster und lehnte die Stirn dagegen. Das dicke kühle Glas, das sie von der Stadt trennte, schien ihr wie ein Symbol für ihr Leben. Immer hatte sie sich allein und nirgendwo zugehörig gefühlt. Früh hatte sie lernen müssen, dass sie sich nur auf sich selbst verlassen konnte.
Die einzige Konstante in ihrem Leben war die Unsicherheit gewesen. Hatte sie Vertrauen zu einem der Sozialarbeiter gefasst, war er versetzt worden. Hatte sie sich bei einem Pflegeelternpaar eingewöhnt, hatte man sie in die nächste Familie gebracht. Nur der Hass auf ihren Vater hatte sie nie verlassen.
Freundschaften oder ein soziales Leben kannte sie nicht. Einmal hatte es einen Mann gegeben. Sie hatte sich von ihm verführen lassen, vermutlich, weil die Sehnsucht nach menschlicher Nähe und Zärtlichkeit trotz allem nicht vollständig abgestorben war. Doch der Akt als solches hatte sie nicht berührt, und hinterher hatte der Mann angewidert gesagt: „Es stimmt also, du verhältst dich wirklich wie eine Maschine.“
Den Fehler hatte sie nicht wiederholt. Stattdessen hatte sie sich auf zwei Dinge konzentriert – ihre Arbeit und darauf, dass ihr Vater seine gerechte Strafe erhielt. Sie hatte Licht am Ende des düsteren Tunnels gesehen, bis Luc Sanchis’ sich ihr in den Weg stellte. Der Gedanke, dass ihr Vater mit dessen Hilfe davonkommen würde, war unerträglich. Und nicht nur das – jetzt, da O’Brian wusste, wer sie war, würde er sie terrorisieren, bis er sie am Boden sah.
Sie wusste, wie gefährlich ihr Vater war. Sie hatte Nachforschungen angestellt, einen Privatdetektiv angeheuert. Herausgekommen war dabei, dass ihr Vater von Grund auf verdorben und schlecht war. Nur mit seinem enormen Vermögen hatte er bisher vermeiden können, im Gefängnis zu landen. Gier, Korruption und Exzesse … der Grund für ihre persönliche Vendetta war nur eine Geschichte von vielen.
Über die Jahre hatte sie seine Aktien aufgekauft. Sie hatte sein Unternehmen von innen her ausgehöhlt, bis die Fundamente nicht mehr tragfähig waren. Ihr Vater hatte sich genügend Feinde gemacht, die sich bereiterklärt hatten, ihr zu helfen, sodass alles rechtlich korrekt über verschiedene Firmen laufen konnte. Sie hätte ihm nur noch den letzten Stoß zu versetzen brauchen. Doch jetzt schien dank Luc Sanchis’ Einmischung alles vergeblich gewesen zu sein.
Entschlossen straffte sie die Schultern. Nein, sie würde nicht aufgeben, nicht so kurz vor dem Ziel. Irgendwie musste sie Sanchis aufhalten. Der Mann hatte Macht und Einfluss – und er besaß eine unglaubliche Ausstrahlung. Als Gegner
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