Heiter. Weiter.
Urlaubsrückkehrer schwärmen immer von ihrer Reise: Es war wieder wunderbar bei niedrigen Preisen, bestem Wetter und tollen Bekanntschaften. Eher gibt einer zu, den falschen Partner als den falschen Urlaubsort gewählt zu haben. Ein mieser Urlaub scheint Prestigeverlust zu bedeuten. Sind auch Jakobspilger so? Wird ein spirituelles Erlebnis zum Muss? Kann man die Versicherung haftbar machen, wenn da nichts passiert ist in Herz, Hirn oder Seele? Ist der liebe Gott gar regresspflichtig?
Viele Wege führen nach Rom, viele Wege führen auch nach Santiago
Oft werde ich gefragt: „Geht der Jakobusweg denn auch hier entlang?“ Viele Wege führen nach Rom, mindestens ebenso viele nach Santiago. Wer in Passau beginnt, wird einen anderen Weg wählen als ein Kölner. Ein Italiener gelangt auf einer anderen Strecke zu seinem großen Ziel als ein Niederländer. Anfangs. Es gibt also nicht einen einzigen Weg, sondern ein Netz von Jakobswegen. In Sammelorten wie Ulm, Speyer oder Trier trafen regionale Pilgerpfade zusammen und mit ihnen die Pilger. Hier erhielten sie Pilgerausweis und Pilgersegen, bekamen Ratschläge, lernten Gefahren und Gefährten kennen.
Durch Deutschland ziehen sich mehrere Jakobswege, in einigen Städten beginnen Verästelungen des Wegenetzes. Auch mein Weg: Von Aschaffenburg gelange ich bis zu den Anschlusswegen in Frankreich.
Der Pilger hat die Möglichkeit, vom Bodensee durch die Schweiz nach Frankreich zu gehen. Den Weg nennen die Einheimischen „Schwabenweg“. Man glaubte einst, die Fremden, die durch das Land zogen, seien Schwaben, nur weil diese zuvor aus Schwaben kamen. Ich fürchte weniger die Höhe der schweizerischen Berge als die Höhe der dortigen Preise und wandere direkt nach Frankreich. In wenigen Tagen werde ich dort sein!
Ich verlasse Freiburg durch den Stadtteil Merzhausen . Später sagt ein Ortsschild Au , doch meine Füße sind in bester Verfassung, bringen mich auf dem „Bettlerpfad“ nach Wittnau . Der „Hirsch“ röhrt mich nicht an, heute bin ich ein haltloser Mensch: Rastlos tragen mich meine Füße nach Bollschweil .
Die Frau in der Kittelschürze zögert. Wir hatten uns kurz zugenickt. Dann verlässt sie doch ihren sicheren Vorgarten. „Pilger?“ Ich bejahe. „Weit? Auf dem Jakobsweg?“ „Ja.“ Die Frau steht da vor mir und fängt an zu singen. Ein deutsches Lied, ein mir unbekanntes Lied. Sein Inhalt hat nichts mit dem Jakobsweg zu tun. Aber mit dem Inhalt ihres Herzens.
Froh wandere ich auf stabilem Weg nach Staufen . Hier kam der Astrologe und Zauberer Johann Faust grässlich zu Tode. Faust lässt mich nicht los: In Gelnhausen ist er nachgewiesen, nahe Maulbronn soll er geboren sein. Staufen selbst scheint nach Bohrungen dem Untergang geweiht: Unterirdische Kräfte wollen es zum Einsturz bringen. Da schlage ich lieber in Sulzburg mein Zelt auf. Locker mache ich mich auf den Weinbergsweg. Plötzlich ein stechender Schmerz im rechten Fuß! Nicht gestolpert, nicht umgeknickt. Was ist passiert? Ablauf im Kopf: schlimme Verletzung. Abbruch der Wanderung. Ende. Doch gestützt auf meinen Stab kann ich mich hinkend fortbewegen. Es geht wieder. Die Erkenntnis bleibt: So schnell kann es zu Ende sein.
Schotter, Asphalt und Beton malträtieren Sohle und Seele
Heute ist mein letzter Wandertag in Deutschland. Ich verlasse Sulzburg durch die Weinberge. Meine Stimmung ist weinerlich, der Fuß schmerzt noch immer. Langsam nur komme ich voran. Ich ziehe Bilanz: Mit meiner Kilometerleistung bin ich zufrieden. Ich habe den Zeitplan eingehalten und nichts vergessen mitzunehmen. Mein Rucksack ist dadurch schwerer als die empfohlenen „zehn Prozent des Körpergewichts“. Nebenbei: Ich habe den Eindruck, packt man alles ein, was in den Führern als notwendig angegeben wird, übersteigt das Gewicht diese „zehn Prozent“ deutlich.
Trotz eingelaufener Schuhe und eingelaufener Füße plagen Blasen anfangs die meisten Pilger. Eine mehrwöchige Wanderung bei starker Hitze ist etwas anderes als eine Tagestour. Das ungewohnte Gewicht drückt auf Rücken und Füße. Der Fuß schwillt an, der Schuh scheuert. Die Jakobswege sind meist keine bemoosten Sonntagswege: Schotter, Asphalt und Beton malträtieren Sohle und Seele. Mein Schmerz im Fuß lastet schwer auf dem Gemüt. Wie war ich doch so fröhlich und zuversichtlich gewesen in den vergangenen Tagen! Doch jetzt arbeitet unermüdlich der Gedanke „vorzeitiger Abbruch“ im Hirn. In Britzingen soll es einen Wein namens „Dattinger
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