Heldenstellung
vorn neben dem Rednerpult, der vor Gaben strotzt wie ein Opferaltar für Donald Trump. »Sie können es Herrn von Schnaidt auch gern selbst überreichen – nach den Vorträgen.«
Das hatte ich befürchtet. Diesmal habe ich mich notgedrungen für etwas Persönliches entschieden. Weil ich, wie mein Vater wohl sagen würde, finanziell viel Spielraum nach oben habe. Es ist ein blaues T-Shirt mit rot-goldfarbenem Logo, das unverkennbar an das von Superman angelehnt ist. Nur, dass statt dem »S« im Dreieck auf der Brust eben ein »F« steht. Darunter ist zu lesen: »Fredman never gives up«. Korrekter wäre gewesen: »Fredman never gets up«.
Das ist das einzige Erinnerungsstück an meinen ersten und einzigen Film. Ein Abschiedsgeschenk der Crew – alles, was von »Fredman« geblieben ist. Jetzt schulde ich der Produktionsfirma eine Viertelmillion Euro Eigenanteil. So viel Geld habe ich nicht. Mein Vater schon.
Ich nehme mir ein Glas Champagner und leere es in einem Zug. »Lammroastbeef mit Meerrettichschaum auf Pumpernickel?«, fragt ein Kellner. Sieht eher aus wie Leberwurst-Sushi. Trotzdem lade ich gleich drei Horsd’œuvres auf ein Tellerchen und stelle mich an den Gabentisch. Von hier aus kann ich den Raum gut überblicken. Während ich kaue, suche ich die Sitzreihen nach meinem Vater ab und entdecke ihn in der ersten Reihe, direkt vor dem Rednerpult. Sein vormals graumeliertes Haar ist wieder richtig dunkelbraun, auch die Falten auf seiner Stirn sind verschwunden. Unwillkürlich muss ich an Herrn Kaiser von dieser Versicherung aus der Fernsehwerbung denken. Ein Lächeln zieht über sein Gesicht, als Adam erklärt, dass Haustiere sowohl unsere »Soft Skills« fördern als auch die »Attitude schärfen« und uns ans »Homecoming« erinnern. Ich sollte mir auch ein Haustier zulegen. Oder überhaupt erst mal ein echtes Zuhause.
Neben meinem Vater sitzt eine junge Frau, die ihre schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgegelt hat. Sie trägt ein enges, graues Business-Kostüm und starrt auf ihr Smartphone. Ab und zu flüstert sie meinem Vater etwas ins Ohr, woraufhin der nickt. Plötzlich hält sie inne und dreht sich zu mir um. Unsere Blicke treffen sich. Sie stutzt, wendet den Blick aber zum Glück nicht ab, sondern zwinkert mir zu. Ich bin so überrascht, dass ich erst auf die Idee komme, zurückzuzwinkern, als sie sich schon längst wieder umgedreht hat. Mein Zwinkern erwischt eine ältere Geschäftsfrau, die mir daraufhin einen Vogel zeigt.
Jetzt flüstert die junge Frau meinem Vater etwas ins Ohr. Sofort dreht er den Kopf in meine Richtung. Sein Lächeln verschwindet, in seinen Augen macht sich jene ätzende Skepsis breit, die mich schon als Junge in die Knie zwang. Ich nicke grüßend. Er hält meinen Blick eine Sekunde und dreht sich dann zurück nach vorn. Kaum schaut er wieder dem PowerPoint-Terrier zu, kehrt das Lächeln zurück. Ich spüre, wie kindliche Wut in mir aufsteigt.
»Wir alle lieben unsere Haustiere«, ruft der Redner und erntet Szenenapplaus. »Aber auch unsere Haustiere lieben sich gegenseitig. Wie sich das auf uns auswirkt, werde ich Ihnen nun verdeutlichen.« Die nächste Folie. Darauf stehen Sätze in Bullet Points.
Ich schlendere zum Geschenketisch herüber. In einer Kristallschale liegt eine Schachtel, eingeschlagen in weinrotes Papier, verziert mit einem goldenen Schleifchen. Darauf steht Golden Gifts . Ich nehme sie heraus und platziere stattdessen dort das T-Shirt. Falls das Päckchen Schmuck enthält, sollte es hier wirklich nicht so herumliegen. Also stecke ich es lieber ein, bevor es noch jemand klaut. Nicht, dass mein Vater den Verlust eines kleinen Geschenks überhaupt bemerken würde. Aber falls er mich gleich rausschmeißen lässt, brauche ich Geld, um den Tag bis morgen zu überstehen. Während ich noch überlege, wie viel Bares ich mit meiner Beute beim Pfandleiher wohl rausschlagen kann, schließt der Redner mit den Worten: »Nun, meine Damen und Herren, liebe Kollegen und Haustierfreunde. Ich hoffe, dass Sie, wenn Sie heute Abend nachhause kommen, mit Ihrem Hund Gassi gehen, Ihrer Katze zur Abwechslung mal frische Vollmilch servieren und eine große Decke über den Hamsterkäfig legen, um Goldi etwas Privatsphäre zu gönnen.« Er drückt eine Taste des Notebooks, und auf der Leinwand erscheint dasselbe Porträt meines Vaters, das ich schon am Eingang gesehen habe. »Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Und denken Sie daran: Teurer Rat ist gut.« Erneuter
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