Heldenstellung
Applaus brandet auf. Als er sich gelegt hat, steht mein Vater auf.
»Vielen Dank, Adam, du hast die Audience mal wieder überzeugt. Aber zum Partner kann ich dich leider noch nicht machen. Die Stelle ist schon besetzt. Von mir.« Gefälliges Gelächter. Nur Adam verzieht keine Miene, sondern tritt von der Bühne, direkt neben mich.
»Bringen Sie mir einen Gin Tonic, aber asap«, murmelt er. Ich sehe ihn fragend an. Der Typ verdreht die Augen.
»As soon as possible! Verstehen Sie kein Englisch?«
»Nope«, sage ich und schüttle den Kopf. Er sieht mich erstaunt an.
»Egal. Holen Sie mir einen Drink.« Keine Ahnung, was es ist: der lange Flug, der aufgestaute Frust oder vielleicht einfach nur der abschätzige Blick dieses Typen, gepaart mit der Arroganz in seiner Stimme. Jedenfalls packe ich den Kerl am Kragen – ungefähr 0,8 Sekunden lang. Dann liegt seine Hand auf meiner, ich spüre einen Tritt gegen das Schienbein, lockere meinen Griff. Im gleichen Moment fährt mir ein stechender Schmerz durchs Handgelenk, weil mein Gegenüber es jetzt so verdreht, wie ich es anatomisch nie für möglich gehalten hätte. Woher nehmen diese vielbeschäftigten Berater eigentlich noch die Zeit für Selbstverteidigungskurse? Instinktiv gebe ich dem Schmerz nach und weiche aus – in die Richtung, in der es am wenigsten wehtut. Zur Bar. »Ohne Zitrone«, ruft Adam mir hinterher. Ich würde ihm am liebsten den Stinkefinger zeigen, aber leider spüre ich den gerade nicht mehr.
Wenig später lehne ich am Tresen und reibe mir das schmerzende Handgelenk. Neben mir steht ein älterer, feister Geschäftsmann mit Mittelstandsschnauzer, Cowboyhut und rosig glänzendem, großporigen Gesicht. Er mustert mich. Genervt starre ich zurück.
»Nein, ich kann Ihnen keinen Drink besorgen, ich bin kein Kellner.«
Er grinst so selbstbewusst, dass ich seine hinteren Goldkronen sehen kann. »Sie sind Richards Sohn«, sagt er mit amerikanischem Akzent.
»Danke, dass Sie mich daran erinnern. Gerade wünsche ich mir mal wieder, ich wäre es nicht.«
Die Antwort ist ein erneutes Goldgrinsen. »Dabei hätten Sie wohl die besten Chancen, sein Nachfolger zu werden.« Ich glaube, ich höre nicht richtig.
»Sein Nachfolger? Mein Vater hört auf zu arbeiten? Das kann ich mir kaum vorstellen.«
Ausgerechnet jetzt ist der Kellner da, mein Gegenüber bestellt ein »deutsches Bier«, sieht mich fragend an, aber ich schüttle nur den Kopf.
»Ihr Vater hat in einem Interview mit dem Magazin Good Money erzählt, er wolle sich bald zurückziehen und einen Nachfolger bekanntgeben. Und plötzlich steht sein Sohn auf der Matte. Da habe ich eins und eins zusammengezählt.« Mein Magen zieht sich zusammen. Theoretisch ergibt das einen gewissen Sinn – allerdings nicht in der Praxis.
»Das glaube ich nicht. Mein Vater verdient so gut wie kaum jemand sonst, hat einen erstklassigen Ruf und könnte wahrscheinlich Bundeskanzler werden, wenn er es nur wollte.« Der Business-Cowboy schaut mich an wie einen Urmenschen, der gerade aus der Zeitmaschine in die Gegenwart gekrabbelt ist und sich freut, dass endlich mal was los ist.
»Heute geht es doch nicht mehr um Karriere, Vermögen oder Luxus. Es geht um das persönliche Glück, um ein gutes Leben. Ihr Vater hat alles erreicht. Er kann sich jetzt locker machen.«
»Schön wär’s«, murmle ich.
»Sie hätten die besten Voraussetzungen«, sagt der Cowboy und nimmt das Bier, das ihm der Kellner hingestellt hat. »Allein genetisch.« Das Grinsen folgt automatisch jedem Hauptsatz.
Ich hole tief Luft. Mein Gegenüber bewegt sich auf dünnem Eis. »Ich komme nicht nach meinem Vater.«
»Was sagen Sie da? Sie müssen eine großartige Kindheit gehabt haben. Immerhin durften Sie jeden Tag mit einem der besten Unternehmensberater Deutschlands verbringen. Er hat Sie erzogen, Ihnen Ratschläge erteilt. Dafür zahlen andere Leute ein Vermögen. Verzeihen Sie das Kompliment, aber theoretisch müssten Sie perfekt sein.«
Jetzt reicht’s!
»Soll ich Ihnen mal etwas aus meiner Kindheit erzählen?« Mein Barnachbar nickt, wobei mich fast seine Hutkrempe touchiert. »Mein Vater hat mich zum ersten Mal auf den Arm genommen, als ich schon fast drei Monate alt war. Meine erste bewusste Erinnerung an ihn ist ein halbstündiger Argumentationsmarathon, den er meinem Wunsch nach einem Meerschweinchen entgegensetzte. Kurz darauf hat er einen Zeitplan aufgestellt, der die Handlungsabläufe meiner Mutter bei der Zubereitung des
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