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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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Prolog
    »… und so endet unsere Geschichte.«
    Lodaja ließ die Hände sinken und erfreute sich an den großen, glänzenden Kinderaugen. In der Welt jenseits der Narbe mochten Ströme von Blut fließen, die nie versiegten, doch Lodaja würde alles dafür tun, dass diese grausige Flut ihre Mündel niemals mit sich fortriss.
    Sie liebte diese kleinen Geschöpfe von ganzem Herzen, jedes einzelne von ihnen: ihren strohblonden Schatz Wutschak, der so gern über die Stränge schlug. Ihre wankelmütige Miska, die mit schmatzenden Küssen ebenso freigiebig war wie mit schmerzhaften Knuffen. Ihre tüchtige Selesa, die nie klagte, wenn man sie um die Erledigung einer Hausarbeit bat. Ihr süßer Tschesch, den sie erst seit letztem Winter in ihren Armen halten durfte. Ohne sie und all die anderen in der Schar wäre Lodajas Leben umso vieles ärmer gewesen.
    Einen Augenblick verharrte ihr Publikum in atemloser Stille – ein Augenblick, der nicht lange anhalten sollte.
    »Lodaja, Lodaja!« Aufgeregt sprang Wutschak von seinem Platz am Kamin auf und drängte sich an zweien seiner Ziehgeschwister vorbei in die vorderste Reihe, wo er aufgeregt von einem Stummelbein aufs andere hopste. »Ist das alles wahr?«
    Lodaja nickte lächelnd. »Genau so ist es gewesen.«
    »Dann hat Bilur Imir wirklich gelebt? Keiner konnte ihn besiegen?« Ungelenk ahmte Wutschak ein paar Schwerthiebe des großen Helden aus Lodajas Erzählung nach.
    »Keiner konnte ihn besiegen«, bestätigte Lodaja. Sie zuckte mit den Schultern. »Und wer weiß? Vielleicht lebt er ja immer noch …«
    »Hör doch auf, du Dummbatz!« Miska, der durch Wutschaks breiten Hintern der Blick auf Lodaja verstellt wurde, versetzte dem Rabauken einen Schubs. Wutschak plumpste quiekend zu Boden. Dabei klemmte er dem kleinen Tschesch die Füßchen ein, der sofort jämmerlich wimmerte. Selesa, die jenes schwierige Alter erreicht hatte, in dem sie sich gern als Richterin über das Verhalten der anderen aufspielte, nahm Tscheschs Gejammer gleich zum Anlass, Wutschak kräftig an den Ohren zu ziehen.
    Daraufhin drohte alles in eine wüste Balgerei auszuarten. Lodaja unterband sie, indem sie rasch eine Reihe Kopfnüsse austeilte und Tschesch zu sich auf den Schoß nahm. Sie lächelte und dankte dem Unendlichen für das Geschenk, das er ihr gemacht hatte. Sie hatte nie selbst die Gnade erfahren, neues Leben in sich heranreifen zu spüren. Doch dieser Mangel war ihr dutzendfach vergolten worden – mit jedem neuen Mündel, das den Weg in ihr Haus fand. Was zählte es da, dass weder Wutschak noch Miska noch all die anderen den schlanken Wuchs, das feine Haar oder die ebenmäßigen Züge aufwiesen, die sie sicherlich besessen hätten, wenn sie in Lodajas eigenem Schoß gewachsen wären? Dass sie die plumpe Statur, die struppigen Borsten, die fliehende Stirn und die breiten Nasen des Talvolks hatten? In allen Belangen, die tatsächlich etwas zählten – denen, die das Innerste eines denkenden und fühlenden Geschöpfs formten –, war sie ihre Mutter. Und darauf war Lodaja stolz.
    Miska rieb sich die Stelle auf ihrem Dickschädel, wo Lodajas spitze Knöchel sie getroffen hatten. »Aber was ist mit der Plage?«, wollte sie wissen, als hätte es den kleinen Zank nie gegeben. »Sind nach der Schlacht tatsächlich alle Toten wieder in ihre Gräber zurückgekehrt?«
    »Lass mich überlegen.« Nachdenklich strich Lodaja Tschesch übers Haar und reichte ihm den kleinen Finger als Ersatz für den Schnuller, der irgendwo im Gewühl verlorengegangen war. Dann senkte sie die Stimme zu einem dunklen Raunen. »Nun, man sagt sich, nicht alle Toten hätten nach Bilur Imirs Sieg Ruhe gefunden. Es heißt, sie würden an manchen Abenden – solchen wie heute, an denen keine Wolke den Mond verbirgt – durch die Lande ziehen, um ihren Hunger zu stillen.« Es wurde so leise, dass Lodaja glaubte, die Herzen der Kinder pochen und wummern zu hören. »Am liebsten holen sie sich ungezogene kleine Halblinge, die nicht ins Bett gehen wollen, wenn man ihnen sagt, dass es Zeit zu schlafen ist. Sie machen keine Gefangenen, und sie …« Lodaja stockte. Zog draußen gerade ein Gewitter auf, das seinen Zorn durch fernes Donnergrollen ankündigte?
    »Und sie …?«, drängte Wutschak.
    Lodaja drückte dem Jungen Tschesch in die Arme und stand auf. Kein Donner rollte so lang über die schroffen Gebirgszüge, in denen die Immergrünen Almen des Talvolks geborgen lagen. Nun war es auf einmal ihr eigenes Herz, das sie wild

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