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Hemmersmoor

Hemmersmoor

Titel: Hemmersmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Kiesbye
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mich nicht überbieten kannst. Mach mir das Leben nicht unnötig schwer.«
    Ich schüttele den Kopf. »Sind wir die Einzigen?«
    Er weist mit einem Nicken in Richtung des Dorfes. Ein kleiner Lieferwagen ist sichtbar am Horizont, wird langsam größer. Ich kenne den Wagen. Er gehört unserem Schulfreund Martin Schürholz. Sein Vater, unser Dorfgendarm, ist lange tot, und Martin führt eine Galerie im Dorf, wo er Gemälde von hiesigen Künstlern verkauft.
    Das Gutshaus muss einst beeindruckend gewesen sein, doch der Hof ist mit Unkraut überwachsen, und Unkraut wächst an den Mauern empor. Das Gestein ist verfallen, grauschwarz und grün und bröckelig. Einige der Fensterscheiben fehlen, die leeren Rahmen sind mit Karton und Müllsäcken gestopft worden. Die Ställe, die etwas abseits zu unserer Linken liegen, sind eingestürzt. »Sie muss doch Geld gehabt haben«, sage ich und schüttele den Kopf.
    Alex lacht kurz auf. Es klingt wie Gebell. »Hat ihre Rechnung immer bezahlt. Gott weiß, wo sie das Geld hat. Sie ist in zwanzig Jahren nicht vor die Tür.« Auch ich habe das Gerücht gehört, nach dem das Geld noch immer im Hause versteckt liegt. Verdächtigungen machen die Runde, dass Alex das Gut nur wegen des geheimen Schatzes kaufen will.
    Martin parkt seinen rostigen Lieferwagen und steigt aus, nickt uns zu. Sein Haar ist rot, glattgescheitelt, und er trägt eine goldene Brille mit runden Gläsern. Er gesellt sich widerstrebend zu uns, akzeptiert nur zögernd die Zigarette, die ihm Alex anbietet. Martin ist so alt wie wir, aber mit seinem schlanken Körper sieht er neben Alex wie ein Schuljunge aus. Manchmal sehe ich ihn in gelben Sportschuhen durchs Dorf laufen. Er und seine Frau lassen sich nie in Fricks Krug blicken und meiden Alex, obwohl sie zu jeder Feierlichkeit eingeladen werden. Wann immer ein Treffen unvermeidlich ist, kommt Martin alleine.
    Doch heute erweisen wir unserer alten Freundin Anke Hoffmann die letzte Ehre und gemeinsam warten wir auf den Leichenwagen aus Groß Ostensen. Nach ein paar einfältigen Worten über Geschäft und Wetter verstummen wir, schauen auf unsere Zigaretten, als beinhaltete sie lebenswichtige Nachrichten.
    Anke Hoffmann war eine stolze Frau, und sie war eine von uns. Sie ging mit uns zur Schule und ihre Mutter nahm manches Jahr am Kochwettbewerb teil. Schon als junges Mädchen hatte Anke es sich in den Kopf gesetzt, ins Große Haus einzuziehen, und kein guter Rat, kein Unglück, nichts konnte sie von ihrem Ziel abhalten. Wie ich entfloh sie unserem Dorf, und obwohl das Gut nur wenige Kilometer von Hemmersmoor entfernt liegt, war es immer eine Welt für sich.
    Nach ein paar Minuten, in denen Alex um das Gutshaus herumwandert und sich hier und dort bückt, um die Mauern zu inspizieren, werden wir von einem fernen Knattern aus unseren Gedanken gerissen. Wir haben sie nicht erwartet, aber Linde Janeke fährt in einem alten Volkswagen auf den Hof. Ihr Haar ist schon lang nicht mehr braun, auch sie ist sichtlich gealtert. Doch in ihrem Fall verdeckt das Altern die Narben, die sie einst entstellten. Ihre dunklen Augen funkeln noch immer. »Kann nicht meckern«, antwortet sie, als Alex nach ihrem Wohlbefinden fragt, doch es klingt wie eine Klage. Sie sieht Martin an und schnaubt. »Du auch hier, Professor? Ist dir Anke so feine Gesellschaft wirklich wert?« Dann schaut sie mit verkniffenem Gesicht auf das Haus und die blinden kaputten Fenster. »Was für eine Tragödie«, sagt sie und sieht fast glücklich aus.
    Martin entscheidet sich, Lindes Bemerkung zu ignorieren und sieht sie mit einer Mischung aus Misstrauen und Ekel an. Linde ist die Einzige im Dorf, die noch von Hexen und Gespenstern spricht. Sie trägt weite Kleider und Blusen, die sie selber färbt. An manchen Tagen deutet sie in die Luft und weist auf Erscheinungen, die wir nicht sehen können, heulende Hunde und klagende Mütter mit schwarzen Augenhöhlen. Sie behauptet, dass die Geister sich ihr anvertrauen, sie behauptet, dass es zwischen Himmel und Erde mehr gibt, als die Ausflügler wahrhaben wollen. Alex und Martin behaupten, dass sie den Verstand verloren hat.
    Der Friedhof der von Kamphoffs steht von Hecken umrahmt, das gusseiserne Tor quietscht in den Angeln. Lindenbäume spenden im Sommer Schatten, neben den Grabsteinen sind steinerne Bänke aufgestellt. Der alte Besitzer und seine Frau liegen hier begraben, ihr einziger Sohn und dessen Frau, die, so heißt es, eine Berühmtheit auf der Reeperbahn gewesen war. Und

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