Henningstadt
super!», sagt sie plötzlich. Ich gebe an, denkt sie.
Isabell merkt, dass sie rot wird. Sie sieht in die Augen ihrer Mutter. Ihre Mutter hat bestimmt keinen Sex mehr mit Gerd. Sie hasst den Gedanken: ihre Eltern beim Sex.
«Und was ist mit Andreas?», fragt die Mutter. «Der ist doch so ein lieber Kerl!»
«Andreas ist ein Idiot!», schimpft Isabell.
«Er sagt, du sollst ihn zurückrufen.»
7
Lutz und Steffen sitzen im Flugzeug wieder neben einander, und nachdem sie sich eine Woche nicht gesehen haben, können sie sich angenehm unterhalten. Steffen ist erstaunt über die Veränderung. Er hat vergessen, was er für Lutz empfunden hat. Der Liebeswahn ist abgeheilt, der Bann ist zerschlagen.
Steffen kommt zu Hause an. Die Tür klemmt. Also scheint hier wenigstens schlechtes Wetter gewesen zu sein, freut er sich. Wenn es schon nicht schön war auf Gran Canumbria, dann war es wenigstens sonnig. Das nennt man aktive Sinngebung, denkt er.
Es ist Nachmittag. Steffen ist früh aufgestanden, der Flug ging um neun. Er stellt seinen Rucksack in eine Ecke und legt sich hin. Er schläft anderthalb Stunden. Um halb fünf wacht er mit einer Morgenlatte auf. Heute ist Sonn tag. Sonntags trifft sich die SIH, die Schwule Initiative Henningstadt. In guten Phasen erzählt man sich seine Sor gen und Nöte in Bezug aufs Schwul Sein und alles, was damit zusammenhängt, also alles, und die andern stehen einem mit Rat und manchmal einer Tat zur Seite. Manchmal versperren sie einem auch den Weg, wenn sie da an der Seite stehen.
Es ist schön, denkt Steffen, wenn man offen über alles reden kann. Und es ist langweilig in neunzig Prozent der Fälle. Steffen geht oft hin und weiß weder vorher noch nachher, warum er nicht zu Hause bleibt und irgendwas Nettes macht. Er denkt, dass es nötig ist, die mühsam ge schaf fene Struktur aufrecht zu erhalten. Und sei es, damit es sie gibt, wenn es wieder nötig wird. Steffen denkt nicht gut von der Regierung, die sowohl den Länderverein als auch Henningstadt regiert. Wenn sie überhaupt regiert, und nicht längst die Konzerne das Ruder in der Hand hal ten, denkt er. Als er merkt, dass er mit erhobener Stimme denkt, muss er schmunzeln.
Steffen ist in der Werbebranche gelandet. – Angetreten ist er mit einem Haufen von Idealen, in einer Zeit, als vie le Leute Ideale hatten und manche auch was dafür getan haben, sie zu verwirklichen. Na ja, der Mensch denkt und die Werbung lenkt. Nachdem er die großen Utopien in den Wind geschrieben hat, war er Vertreter des Bienen wa ben-Modells: Jede Wabe sorgt für sich und ihre Umge bung, und wenn alle das tun, dann geht ’ s schon klar, wird alles gut.
Lutz hat ihn wirklich geärgert. Er hasst Lutz dafür, dass er ihm seine eigenen Grenzen gezeigt hat. Er konnte einfach nicht die Toleranz aufbringen, einen Idioten zu ertragen. Wieso hat er nicht gleich gemerkt, dass Lutz spinnt? Wieso hat er sich auf ihn eingelassen? Steffen lässt den Kopf rückwärts gegen die Sofalehne sinken. Er legt die Hand auf seine Brust, in die Mitte, wo das Herzchakra sitzt. Er fühlt, wie es versteinert, wie es hart wird. Seine Muskeln spannen sich an, ohne dass er seine Position ver ändert. Ihm wird kalt. Er beginnt zu zittern. Sein Mund verkneift sich. Sein Herz schlägt dumpf gegen die Rippen. Er hat Angst. Was passiert mit ihm? Es ist ganz kalt. Er zittert.
Steffen atmet ein paar Mal kräftig ein und aus. Der Kreislauf kommt wieder. Er steht auf, macht sich Musik an. Mit hasserfüllter Lust entwirft er eine Gedenkstätte à l a Pierre et Gilles für sein totes Herz. Danach weint er Lutz und seinem Herzen ein paar Tränen nach und be ruhigt sich. Irgendwann kennt man die Attacken der Welt, die Anfälle von Lebensmüdigkeit. Sie scheinen des halb nicht weniger unendlich, aber man erinnert sich, sie gehen auch wieder weg. Man muss sich nur bewegen. Ent schlossen gibt er sich einen Ruck und gräbt endlich seinen Vorgarten mit den jämmerlichen Blümchen um. Er hasst jämmerliche Blümchen. Die braune Erde gef ä llt ihm. Es ist Vorgartenerde aus dem Kompost: fett und feucht. Er wird ein Weizenfeld sähen!
Wieder drinnen, nimmt er sich eins der kostenlosen schwulen Blättchen, die überall ausliegen, und schmökert in den Kontaktanzeigen. Erstens kann er sich daran auf gei len, zweitens regt er sich wollüstig darüber auf, was die Leute für einen Scheiß schreiben, nach dem Motto: «Suche geilen Hengst, der mich auch bekocht» oder «Mann» – zwei Zeilen mit
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