Herbstfrost
aber …«
»Was – aber?«, fragte Sarah Feldbach streitlustig. »Das Programm der
Schwarzledernen ist eine Selektion mit eindeutiger Prämisse. Seit
Menschengedenken hat Vergleichbares nur die SS durchgezogen. Sie haben doch alles selbst mitbekommen. Ich sehe jedenfalls
keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen diesem unsäglichen Rolf und einem
Ernst Kaltenbrunner. – Setzen Sie sich und greifen Sie zu, junger Mann!« Die
letzte Bemerkung galt Inspektor Wegener, der dankend Platz nahm.
»Ich bitte Sie, Frau Feldbach! Es geht doch nicht darum, in welcher
politischen Ecke diese Leute anzusiedeln sind«, sagte Vogt, um Beschwichtigung
bemüht. »Zunächst einmal handelt es sich um eine Organisation, die alte Leute
umbringt – mit Methode, wohlgemerkt …«
»Ich denke, auch den Ausdruck ›Organisation‹ sollten wir vorläufig
noch vermeiden«, unterbrach ihn Jacobi, der die Kohlensäurebläschen in seinem
Sektglas so konzentriert beobachtete, als sei er einer nobelpreisverdächtigen
Erkenntnis auf der Spur. »Der Fall Feldbach – Sie entschuldigen, wenn ich das
so unpersönlich sage, gnä’ Frau –, also: Der Fall Feldbach hat unsren Verdacht
zwar erhärtet, speziell durch die Äußerungen der drei Burschen, aber ein Beweis
für eine organisierte Gruppe ist das noch lang nicht. Wir wissen, dass die
Bande aus etlichen jungen Leuten besteht, sonst hätten sie damals nicht
gleichzeitig im Eilzug und auf der Hochalmspitze zuschlagen können. Aber
vielköpfige Jugendbanden mit wirrem Gedankengut sind heutzutage leider nichts
Ungewöhnliches. Und dass alleinstehende ältere Menschen mit Vorliebe überfallen
werden, das erleben wir ja tagtäglich.«
»Du sagst es«, bestätigte Vogt. »Gerade im letzten Jahr haben sich
solche Delikte gehäuft. Ihre Aufklärungsrate hingegen bleibt beschämend niedrig.«
»Unsre ist immerhin höher als die in manch anderen Bundesländern«,
verteidigte sich Jacobi. »Aber zurück zum Thema: Das Ansteigen von
Gewaltverbrechen an Senioren einer einzigen Gruppe anzulasten, das wäre
jedenfalls eine sehr gewagte These. Ich kann mich nur wiederholen: Wo sind die
Beweise?«
»Was Frau Feldbach und ich am Reedsee zu hören bekamen, ist mir Beweis genug«, sagte Vogt völlig unaufgeregt. Er hatte
Jacobi ausgebildet und wusste, dass sein ehemaliger Schüler jetzt den Advocatus
Diaboli spielte. »Und warum bekamen wir es zu hören? Weil ich – ausgehend vom
Fall Cermak – die richtigen Schlüsse gezogen habe, als ich diese Totenvögel
hier im Kötschachtal aufkreuzen sah. Wäre nichts passiert, hätte ich gedacht,
ich würde nach zehn Jahren in Pension noch immer meiner berufsbedingten
Paranoia aufsitzen. Aber es ist etwas passiert! Und
das ist ein guter Ansatz, um einige symptomatische Fälle erneut aufzurollen.
Unter den geänderten Aspekten würde man sicher Indizien zutage fördern, die man
bei früheren Routineuntersuchungen übersehen hat, wenn man es mal so ausdrücken
möchte.«
»Jetzt wirst du aber unsachlich, Bernd«, sagte Jacobi. Seine
Märtyrermiene hätte einen Jacopo Tintoretto zweifellos zu einem Meisterwerk
inspiriert.
»Darf ich auch mal etwas sagen?«, meldete sich Wegener zaghaft zu
Wort, nachdem er sich mit einem Schluck Röderer Mut angetrunken hatte. Er war
ein dunkelhaariger Schlacks und mit seinen zwanzig Jahren der mit Abstand
Jüngste in der Runde. Außerdem hatte er einen Heidenrespekt vor dem Chef, wie
Jacobi intern im Referat 112 genannt wurde.
»Nur zu, Werner!«, ermunterte ihn Jacobi. »Deshalb sitzen wir ja
hier.«
»Ich halte solche Perversionen durchaus für möglich und relativ
leicht durchführbar. Seien wir doch ehrlich: Wenn ältere Menschen ums Leben
kommen, sei es durch Unfälle, Infektionen oder durch sonstige widrige Umstände,
dann sucht man die Ursache zunächst bei ihnen selbst. Sie waren eben alt, haben
nicht schnell genug reagiert, hatten Wahrnehmungsdefizite, eine schwache
Konstitution et cetera. Kurz und gut: Tödliche Unfälle und Krankheiten von
Senioren passen einfach wunderbar in unser Schema. Sie sind etwas Normales und
werden, vielleicht unbewusst, nicht genauso kritisch hinterfragt wie der Tod
jüngerer Mitbürger. Analog dazu werden auch die Ermittlungen bei Todesfällen
von Senioren geführt: als Pflichtübungen, die sich nicht selten in der
Datenaufnahme erschöpfen.«
»Wollen Sie vielleicht behaupten, am Referat 112 würde so
gearbeitet, wie von Ihnen eben geschildert?«, unterbrach ihn Vogt.
Wegener lief
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