Hercule Poirots Weihnachten
glotzte Poirot an. «Und meiner Ansicht nach», fuhr er unbeirrt fort, «ist das auch tatsächlich geschehen. Simeon Lee wurde durch jemanden von seinem eigenen Fleisch und Blut umgebracht um einer Sache willen, die dem Mörder Grund genug für einen Mord schien.»
«Einer von uns?», kreischte George auf. «Niemals! Ich –»
Poirot schnitt ihm das Wort ab. «Hier stehen alle unter Verdacht! Beginnen wir doch gleich mit Ihnen, Mr George Lee. Sie liebten Ihren Vater nicht. Wenn Sie sich trotzdem mit ihm gut stellten, geschah dies des Geldes wegen. An dem Tag, da er ermordet wurde, hatte er Ihnen gedroht, Ihren Zuschuss zu kürzen. Sie wussten, dass Sie nach seinem Tod eine nicht unerhebliche Summe erben würden. Damit wäre Ihr Motiv gegeben. Nach dem Abendessen telefonierten Sie. Das stimmt. Aber Ihr Anruf dauerte nur fünf Minuten. Sie konnten also mit Leichtigkeit nachher zu Ihrem Vater hinaufgegangen sein, mit ihm geplaudert, ihn angegriffen und getötet haben. Dann verließen Sie sein Zimmer, sperrten die Tür von außen ab und wiegten sich in der Hoffnung, dass man diesen Mord einem Einbrecher zur Last legen werde. Aber in Ihrer begreiflichen Erregung vergaßen Sie, das Fenster weit genug offen zu lassen, um diese Einbrechertheorie auch wirklich abzusichern. Das war sehr dumm, aber Sie sind, wenn Sie meine Offenheit verzeihen wollen, ein ziemlich dummer Mensch.» Nach einer langen Pause, während welcher George Lee nach Luft schnappte und etwas zu sagen versuchte, was ihm aber nicht gelang, fügte Poirot noch hinzu:
«Immerhin waren viele Verbrecher sehr dumm.»
Nun richtete er das Wort an Magdalene.
«Auch Madame hatte ein Motiv. Sie ist verschuldet, und der Ton verschiedener Bemerkungen, die ihr Schwiegervater über sie machte, mochte ihr äußerst unangenehm in den Ohren geklungen haben. Auch sie hat kein Alibi. Sie ging zum Telefon, telefonierte aber nicht, und ihre Aussage wird von niemandem bestätigt…
Dann wäre da Mr David Lee. Wir haben nicht einmal, sondern x-mal gehört, wie viel Rachsucht im Blut der Lees kreist. Mr David Lee vergaß und verzieh nie, wie schlecht sein Vater seine Mutter behandelt hatte. Eine letzte Verunglimpfung der Verstorbenen kann das Maß zum Überlaufen gebracht haben. David Lee soll Klavier gespielt haben, als der Mord passierte. Zufälligerweise spielte er einen Trauermarsch. Aber es wäre doch möglich, dass jemand anderer diesen Trauermarsch spielte, jemand, der wusste, was David zu tun im Begriff war, und der diesen Schritt begrüßte.»
«Das ist eine infame Vermutung», sagte Hilda Lee ruhig.
Poirot wandte sich ihr zu.
«Dann biete ich Ihnen eine andere, Madame. Es war I h re Hand, die den Todesstoß führte. Sie schlichen die Treppe hinauf, um einen Menschen zu richten, der Ihrer Ansicht nach jenseits aller menschlichen Verzeihung stand. Sie gehören zu den Menschen, die sehr jähzornig werden können, Madame.»
Darauf antwortete Hilda nur: «Ich habe ihn nicht getötet.»
«Mr Poirot hat Recht», sagte Sugden plötzlich. «Alle hier Anwesenden könnten als Täter in Frage kommen – ausgenommen Mr und Mrs Alfred Lee und Mr Harry Lee.»
«Ich würde nicht einmal diese drei ausnehmen», sagte Poirot.
Lydia lächelte ironisch. «Ach? Und wie würden Sie den Verdacht gegen mich begründen, Mr Poirot?»
«Ihren Beweggrund können wir beiseite lassen, Madame. Er ist offensichtlich. Ansonsten aber; Sie trugen an jenem Abend ein geblümtes Taftkleid von auffallend großem Muster und eine Jacke aus dem gleichen Stoff. Ich muss hier einflechten, dass Tressilian ziemlich kurzsichtig ist. Aus einer gewissen Entfernung sieht er die Dinge nur noch verschwommen. Ferner möchte ich festhalten, dass das Wohnzimmer sehr groß und eigentlich ziemlich spärlich erhellt ist. Nun kam also am Mordabend Tressilian ins Wohnzimmer – ungefähr zwei Minuten ehe der Schrei ertönte – und trug die Kaffeetassen hinaus. Er glaubte, Sie am Fenster stehen zu sehen, wie er Sie schon oft dort stehen sah – halb verdeckt durch die schweren Vorhänge.»
«Er hat mich gesehen», bemerkte Lydia ruhig.
«Nun, ich möchte sagen, dass es möglich ist, dass Tressilian nicht Sie, sondern die Jacke Ihres Kleides sah, die Sie so beim Fenster hingehängt hatten, dass es aussehen sollte, als ob Sie selber dort stünden.»
«Wie dürfen Sie es wagen, so was zu sagen», fuhr Alfred auf.
«Lass ihn», unterbrach ihn Harry. «Jetzt kommen wir dran. Wie wollen Sie nun erklären, dass Alfred
Weitere Kostenlose Bücher