Herr Der Fliegen
lächelte Ralph zu.
»Willst du nicht schwimmen?«
Piggy schüttelte den Kopf.
»Ich kann nicht. Ich hab’s verboten gekriegt. Mein Asthma –«
»Ach geh fort mit deinem Asthma!«
Piggy nahm dies mit nachsichtiger Demut hin.
»Du schwimmst wirklich nicht schlecht.«
Ralph paddelte rückwärts von der seichten Stelle des Ufers hinweg, ließ sich Wasser in den Mund laufen und spie es in hohem Strahl in die Luft. Dann reckte er den Kopf hoch und sagte:
»Ich hab schon mit fünf Jahren schwimmen können. Papa hat’s mir beigebracht. er ist Kapitän bei der Kriegsmarine. Wenn er Urlaub kriegt, kommt er und rettet uns. Was ist dein Vater?«
Piggy errötete:
»Mein Papa ist tot«, sagte er rasch, »und Mama –«
Er nahm die Brille ab und suchte vergeblich nach etwas, womit er sie hätte putzen können.
»Ich hab immer bei meiner Tante gewohnt. Die hatte ein Schokoladengeschäft. Ich konnte immer Bonbons und Schokolade haben, soviel ich wollte. Wann kommt denn dein Vater und rettet uns?«
»Sobald er kann.«
Piggy kletterte triefend aus dem Wasser und wischte die Brille an einer Socke ab. Der einzige Laut, der jetzt durch die Morgenhitze zu ihnen drang, war das stetige Brausen der Brecher, die gegen das Riff brandeten.
»Woher weiß er denn, daß wir hier sind?«
Ralph streckte im Wasser seine Glieder. Schlaf umfing ihn und schien die Gestalt der einlullenden Luftspiegelungen anzunehmen, die mit dem Schimmern der Lagune wetteiferten.
»Woher weiß er denn, daß wir hier sind?«
Was weiß ich, dachte Ralph, wieso, warum – darum. Das Tosen vom Riff klang wie aus weiter Ferne. »Die vom Flugplatz werden’s ihm schon sagen.« Piggy schüttelte den Kopf und setzte seine Brille auf.
Die Gläser blitzten in der Sonne. Dann sah er zu Ralph hinunter.
»Glaub ich nicht. Hast du nicht gehört, was der Pilot gesagt hat? Mit der Atombombe? Von denen ist keiner mehr am Leben.«
Ralph zog sich am Uferrand hoch, blickte Piggy starr an und dachte über diese außerordentliche Situation nach.
Piggy fragte hartnäckig weiter.
»Das ist eine Insel hier, sagst du?«
»Ich bin auf einen Felsen geklettert«, antwortete Ralph langsam, »Es sieht aus wie eine Insel.«
»Die dort sind alle tot«, fuhr Piggy fort, »und wir sind hier auf einer Insel. Und keiner weiß, daß wir hier sind. Dein Papa weiß es nicht, niemand weiß –«
Seine Lippen zuckten und die Brillengläser beschlugen sich. »Wir müssen vielleicht hierbleiben bis wir sterben.«
Bei diesem Wort schien die Hitze zu einem erdrückenden Gewicht anzuschwellen, und die Lagune griff nach ihnen mit ihren blendenden Strahlen.
»Ich hol meine Sachen«, sagte Ralph mürrisch, »da drüben.«
Er tappte durch den Sand, in der unbarmherzigen Glut der Sonne, überquerte die Plattform und fand seine verstreut umherliegenden Kleidungsstücke. Wieder ein graues Hemd anzuziehen war seltsam angenehm. Dann kletterte er über die Kante der Plattform und hockte sich im grünen Dämmer auf einen Baumstamm. Piggy kam heraufgekeucht, er trug die meisten seiner Sachen auf dem Arm. Dann setzte er sich auf einen umgestürzten Stamm in der Nähe der Klippe, nach der Lagune hin; und das Gewirr der Lichtreflexe zitterte über ihm.
Nach einer Weile sagte er: »Wir müssen die andern suchen. Wir müssen was unternehmen.«
Ralph schwieg. eine richtige Koralleninsel! Unter dem schützenden Schirm der Palmen gingen seine Gedanken auf angenehmen Traumwegen, und er hörte nicht, was Piggy sagte, hörte nicht den Unterton der Besorgnis in seinen Worten.
Piggy gab nicht nach.
»Wieviele sind wir eigentlich hier auf der Insel?«
Ralph trat auf Piggy zu und blieb stehen.
»Ich weiß nicht.«
Hier und da krochen die Kräusel einer leichten Brise unter dem Dunst der Hitze über die glatte Wasserfläche. Jedesmal wenn eine solche Brise an die Plattform stieß, ging es wie Gewisper durch die Palmwedel, und Flecken verschwommenen Sonnenlichtes glitten über ihre Körper oder bewegten sich gleich hellen, beflügelten Wesen im Dämmer des grünen Daches.
Piggy blickte zu Ralph auf. Über Ralphs Gesicht huschten grüne Schatten von oben, helle Lichtflecke von unten, von der Lagune. ein Stück Sonnenstrahl schlich sich über sein Haar.
»Wir müssen was unternehmen.«
Ralph sah ihn geistesabwesend an. Hier, mit dieser Insel, wurde der immer geträumte und nie ganz erfüllte Traum greifbare Wirklichkeit. Ralphs Lippen öffneten sich zu einem beglückten Lächeln, und Piggy, der es als ein
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