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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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zeig uns den Weg.“
    Eine Frau stand auf. „Ich bin Nyawĩra“, sagte sie. Kaum hatte die Menge den Blick auf sie gerichtet, als ein Mann sich erhob und sagte: „Ich bin Nyawĩra.“ Ihm folgten alle anderen Frauen und Männer, bis sich die ganze Versammlung als Nyawĩra bezeichnet hatte.
    Informationsminister Big Ben Mambo und seine offizielle Begleitung blieben sitzen. Die Polizisten und Soldaten, die bereits gestanden hatten, befanden sich in einer unangenehmen Lage: Sie wussten nicht, ob sie sich setzen sollten oder nicht. Deshalb blieben sie stehen, und für ein paar Minuten sah es so aus, als wären Armee und Polizei eins mit dem Volk.
    Die Kameraleute wussten nicht, wen sie ins Bild setzen sollten. Und für die Vertreter der Regierung war Nyawĩra nun überall. Eine Frau begann zu rufen: Wie viele Stämme gibt es? Andere antworteten: Zwei, Schöpfer und Parasiten.
    Stimmen erhoben sich zu einem Lied:
    Kommt, kommt, Schwache und Starke
    Schaffen wir ein schönes Land
    Mit unserem Wissen, unseren Herzen
    Die ganze Versammlung tanzte. Langsam schob sich eine Gruppe an die Bühne heran. Und bevor Big Ben Mambo begreifen oder reagieren konnte, was vor sich ging, hatte sich eine schützende Menschenwand um den Herrn der Krähen gebildet.
    Kamĩtĩ spürte die Gegenwart einer tanzenden Gestalt neben sich und wusste, dass es Nyawĩra war. Ihre Augen trafen sich. Sie hielten sich an den Händen und tanzten einige Schritte zu diesem Lied, ein Paar, das von den anderen Tänzern nicht zu unterscheiden war. Trotzdem hatten der Herr der Krähen und die Hinkende Hexe das Gefühl, in einer ganz eigenen Welt zu sein, die von der Einigkeit des aburĩrischen Volkes geschützt wurde.
    Als der Herrscher, dessen Körper sich weiter ausdehnte, im State House sah, was sich im Fernsehen abspielte, grübelte er: Wie können sie es wagen, froh zu singen und zu tanzen, wenn ich mich in höllischen Schmerzen winde? Es wird Zeit, sie mit dem Geld auseinanderzutreiben. Er nahm alle Kraft zusammen zu einem letzten Versuch der Fernregie. Kaum hatte er einen Piloten angewiesen, Geld vom Himmel regnen zu lassen, als ihn eine neue Schmerzenswelle durchfuhr. Er ließ das Mobiltelefon fallen; es krachte auf den Fußboden. Sein Körper nahm inzwischen das gesamte Zimmer ein und drückte Ärzte und Kameraleute an die Wand.
    Nyawĩra hörte das Peitschen des Hubschraubers am Himmel, schaute hoch und sah Blätter vom Himmel fallen. Die Leute schrien. Die Scheine segelten langsam herunter. Bevor sie sich zum Mikrofon durchdrängen konnte, um den Leuten zu sagen, dass es sich um Falschgeld handle, um einen Trick des Herrschers, mit dem er ihre Seelen korrumpieren und sie in Versuchung bringen und auseinandertreiben wolle, hatte sie eine Vorahnung. Sie schaute hinter sich und erblickte Kaniũrũ. Niemals zuvor hatte sie Hass und Eifersucht so intensiv in einem Menschen brennen sehen wie jetzt in seinen Augen.
    Er drängte sich mit Gewalt durch die Menge und kam direkt auf die Bühne zu. Nyawĩra schaute sich schnell nach einem Fluchtweg um. Zwei Gruppierungen schoben sich aus unterschiedlichen Richtungen durch die Menge an den Herrn der Krähen heran.
    Kaniũrũ trug eine Pistole. Zuerst glaubte sie, er ziele auf sie. Doch er hatte die Pistole auf den Herrn der Krähen gerichtet, und bevor sie einen Warnruf ausstoßen konnte, hatte Kaniũrũ einen Schuss abgefeuert. Sie war unfähig zu schreien; sie warf sich über den gefallenen Körper des Herrn der Krähen, als wollte sie ihn vor weiterem Schaden schützen. Sie sah, wie Kaniũrũ die Pistole auf die Stelle richtete, wo sie lag. Wir sind verloren, murmelte sie.
    Irgendjemand sprang Kaniũrũ an und rang ihn nieder. Ein weiterer Schuss ging los. Die Umstehenden schrien vor Entsetzen. Kaniũrũ und sein Widersacher rollten über den Boden. Der Mann versuchte, an die Waffe zu kommen; Kaniũrũ leistete erbitterten Widerstand. Sie hatte das Gesicht dieses Mannes schon irgendwo gesehen, dachte Nyawĩra. Doch ihr blieb keine Zeit, darüber nachzudenken.
    Auf einmal zerriss Donner den Himmel. Die Menschen spürten die Erde beben. Sofort ließen Kaniũrũ und sein Widersacher voneinander. Kaniũrũ, der um sein Leben fürchtete, ließ die Waffe fallen und rannte davon. Seine für ihren Mut berühmten Jungs waren schon fort. Einige schrien vor Entsetzen: „Mein Gott, man hat uns erwischt“, stolperten über andere, die ebenfalls flohen.
    Als er sich ohne seinen Beschützer sah, ergriff auch der ehemalige

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