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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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erwartete Sitzung begann.
    „Ehrlich, Haki ya Mungu , ich habe mich ständig gefragt, wie er ins Parlament gelangen würde“, erzählte A.G. „In welchem Gefährt würde er vorfahren? Wie würde er das Gebäude betreten, denn ich hatte nicht gehört, dass man die Türen vergrößert hatte. Wollte man ihn so durch den Eingang schieben, wie man ihn in den Jumbo-Jet verfrachtet hatte? Worüber würde er sprechen? Würde er das Schicksal des Herrn der Krähen erwähnen? Und was würde er zu den Gerüchten über seine Schwangerschaft sagen? Fragen über Fragen …“
    Arbeiter hatten sich den Nachmittag freigenommen, einige von ihnen inoffiziell, denn keiner wollte die Nachrichten verpassen. A.G. kannte einen Teeausschank, Wĩra-no-nda , in dem es einen Fernseher gab. Er ging zeitig hin, musste aber feststellen, dass andere noch früher gekommen waren. Dennoch ergatterte er einen Platz, von dem aus er den Bildschirm recht gut sehen konnte. Alle umringten den Fernseher wie ein Bienenschwarm, der summend seinen Stock umschwirrt. Als sie den Herrscher erblickten, wurden sie still.

3
    Der Herrscher betrat das Parlament und schritt auf einem roten Teppich den Mittelgang hinauf. Rechts von ihm ging eine bezaubernd gekleidete Frau, die ein Diamantendiadem trug. Wurde Rachael, die Frau des Herrschers, öffentlich vorgeführt?
    A.G. traute seinen Augen nicht. Diese Vortrefflichkeit im Fernsehen sah jener Vortrefflichkeit, die er zuletzt im State House gesehen hatte, kaum ähnlich. Diese Person war groß und dünn, trug einen dunklen Anzug mit Blume im Knopfloch und hatte ein weißes Tuch in der Brusttasche. In der linken Hand hielt er Zeremonienstab und Fliegenwedel. Auch der obligatorische Besatz aus Leopardenfell war vorhanden. Der Kopf war von der Größe einer Faust, aber die Augen traten heraus und erinnerten an den verblichenen Machokali.
    A.G. merkte nicht, dass er selbst immer wieder ausrief: „Nein, nein, das ist er nicht!“ Die anderen sahen ihn an wie einen Verrückten, bis einige ihn schließlich anfuhren, „Halt’s Maul! Woher willst du das wissen?“, ohne ihm zu gestatten, es ihnen zu erklären. Worauf er zur Antwort gab: „Was ist mit seinem aufgeblasenen Körper?“ Da mussten die Leute lachen, und wenn er weiter zweifelte: „Seht euch seine Zunge an, seht euch diese Zunge an“, brachten sie ihn mit giftigen Blicken zum Schweigen. Trotzdem fiel auch anderen auf, dass der Herrscher, wenn er nicht sprach, manchmal ungewollt seine Zunge herausschnipsen ließ. Aber die meisten sahen darin nichts Befremdliches und schrieben es der Tatsache zu, dass er die Zunge lange nicht mehr in der Öffentlichkeit benutzt hatte. Als A.G. darauf bestand, dass diese Zunge gespalten war, sagten die Umsitzenden: „Der Smog – was hat er nur mit dem Kopf dieses Mannes gemacht? Vielleicht geht es nicht nur ihm so?“
    Als Erstes sagte der Herrscher, dass er die Gelegenheit ergreifen wolle, die neben ihm sitzende Person vorzustellen, denn als er ihr die Aufgabe übertragen habe, die sie nun bekleide, habe er sich zurückgezogen und sei nicht in der Lage gewesen, sie vor den Augen der Nation persönlich zu salben. Doch alles habe nun mal seine Zeit, und er sei sehr glücklich, der Nation mitzuteilen, dass dies Dr. Yunique Immaculate McKenzie sei, die offizielle Nationalhostess.
    Bis sich das Publikum von diesem Schock erholt hatte, denn seit ihrer Ernennung war sie niemals in der Öffentlichkeit gesichtet worden, war der Herrscher bereits in vollem Redefluss. Er bat die Menschen, wo immer sie sich gerade befänden, im Parlament, zu Hause, am Arbeitsplatz oder auf der Straße, sich zu erheben und im Gedenken an jene, die kürzlich auf dem Parlamentsgelände und vor dem Obersten Gericht den Tod gefunden hätten, eine Schweigeminute einzulegen. Diese Toten seien Opfer der Aktivitäten einiger übler Elemente im Land gewesen, die darauf gehofft hatten, als erste Stufe einer Verschwörung zum Sturz der Regierung Verwirrung stiften zu können. „Ich will ihnen nur eine einzige Frage stellen: Wissen sie nicht, dass wir den Kommunismus im zwanzigsten Jahrhundert besiegt haben? Der Kommunismus ist ausgestorben wie der Dodo.“ Die sogenannte Bewegung für die Stimme des Volkes habe den Mob agitiert und gedrängt, Schlangen zu bilden, nicht etwa, weil es der Bewegung aufrichtig um die tatsächlichen Nöte und Kümmernisse des Volkes gegangen sei, sondern weil sie die Bevölkerung für die eigenen schändlichen Absichten

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