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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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Müllfahrer die Flucht und klagte leise: „Das ist Satan“, und schaute nicht mehr zurück. Zum Glück stieß er bei den verkohlten Überresten eines Gebäudes auf eine Gruppe der Soldaten Christi, unterwarf sich auf der Stelle Christus und nahm einen neuen Namen an: Pilot-der-Seelen.
    Kaniũrũs Widersacher verfolgte ihn durch die Menschenmenge und schoss ihm ins Bein. Kaniũrũ stürzte, doch gelang es ihm, trotz seiner Verletzung davonzuhumpeln.
    Und dann ertönte erneut ein Donnerknall, dem sechs weitere folgten, von denen jeder noch lauter als der vorhergehende war. „Es regnet Bomben auf das Land!“, riefen einige, und das Gelände war ein einziges riesiges Chaos aus angsterfüllten Schreien und fliehenden Menschen.
    Die völlig unvorbereiteten Soldaten auf dem Versammlungsgelände nahmen an, dass im State House ein Staatsstreich vor sich ging. Soldaten und Polizisten warteten auf einen Befehl ihrer Vorgesetzten, die wiederum auf ein Wort ihrer Vorgesetzten warteten, die ihrerseits auf einen Befehl des Oberbefehlshabers warteten. Die Befehlskette schien irgendwie unterbrochen. Unsicherheit und Panik führten zu vereinzelten Schüssen. Erschrockene Menschen liefen in alle Richtungen, zeigten zum Himmel und riefen: „Das ist das Jüngste Gericht!“
    Die pilzförmigen Wolken, die sich nach den sieben Donnerschlägen über dem State House bildeten, versetzten alle in Erstaunen.
    Sikiokuu hatte, als er den Hubschrauber am Himmel sichtete, seinen Gefolgsleuten das Zeichen gegeben, den Zauberer zu ergreifen. Nun suchte er sich ein Blatt Papier, um seine Unterstützung der Revolution schriftlich zu dokumentieren. Ein Hoch auf die Revolution, schrieb er und klemmte den Mutbeweis hinter die Scheibenwischer. Verwundert sah er den überwältigenden Rauch, der sogar den Hubschrauber verschlang. Doch obwohl er jetzt ein Anhänger der Revolution war, wollte er nicht ins Kreuzfeuer zwischen den Revolutionären und den Verteidigern des Regimes geraten. Bei einem Staatsstreich ist sich jeder selbst der Nächste.
    Jeder, der ein Auto hatte, versuchte aus der Stadt aufs Land zu fliehen. Der Stau war furchteinflößend. Ungeduldige Hupen plärrten. Die Sicht war durch dichten, stinkenden Rauch eingeschränkt, der alle peinigte, die in Autos oder zu Fuß flohen. Nyawĩra, die den Körper des Herrn der Krähen mit ihrem bedeckte, spürte warmes Blut. „Bitte, Kamĩtĩ, bitte stirb nicht“, flehte sie.

29
    Furyk und seine Leute rannten die State House Road hinunter, und Kaboca, der ihnen die Richtung zurief und sie drängte, nicht aufzugeben, weil sie, wie er behauptete, nur Minuten vom sicheren amerikanischen Hafen entfernt waren, lief hinter ihnen her.
    Botschafter Gemstone hatte bereits die Anweisung gegeben, dass jeder Weiße, der der Gewalt der Revolution entkam, ohne jede Frage eingelassen werden sollte. Die Vorderen erreichten den schützenden Hafen ohne Schwierigkeiten. Wilfred Kaboca kam als Letzter an. Die Tore schlossen sich direkt vor seinen Augen. Weil er glaubte, die Wachen hätten nicht begriffen, trommelte er gegen das Tor und rief: „Wir gehören zusammen! Das sind meine Kollegen, verstehen Sie!“ Aber sie verstanden nicht.
    Eine Kugel aus der Botschaft streckte Dr. Wilfred Kaboca nieder. Zu überrascht, selbst um zu stöhnen, richtete er sich auf, drückte die rechte Hand auf seine linke Brustseite, um das Blut zurückzuhalten, und machte sich durch die stinkende Finsternis auf den Weg zum Highway, um im Krankenhaus Hilfe zu suchen. Keiner hielt an. Dr. Kaboca, der Leibarzt des Diktators von Aburĩria, verblutete am Straßenrand des Ruler’s Highway.

30
    Am nächsten Tag nahmen die Menschen ihren Mut zusammen und gingen zum Gelände vor dem Parlament und dem Obersten Gericht, dem Ort der Volksversammlung. Hier und dort lagen aufgedunsene Leichen herum. Es war schwer zu sagen, ob der abstoßende Gestank von der Verwesung herrührte oder vom dunklen Rauch des vorangegangenen Tages, der aus dem State House aufgestiegen war. Der Dunst hatte sich über den gesamten Himmel ausgebreitet, die Sonne, den Mond und die Sterne verdunkelt, das ganze Land in Finsternis getaucht, und selbst später noch, als es Sonne, Mond und Sternen gelang, die Dunkelheit zu durchdringen, schien das Land in einer ekelhaften Luftverpestung gefangen.

Z   W   E   I   T   E   R   T   E   I   L
1
    Als offiziell nichts über den Donner, den Smog und das Blutbad vermeldet wurde, begannen die Leute davon zu sprechen, dass der

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