Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
meinen, er nehme es mit den Grundrechten nicht so genau, andere finden, er verfolge einfach nur eine generalpräventive Rechtsprechung in direkter Tradition Immanuel Kants, von dem bekanntlich der Satz stammt: »Besser, dass ein Mensch sterbe, als dass das ganze Volk verderbe.«
Und da in diesem Fall eine Feststellung des Aufenthaltsortes via Funkzellenabfrage keine empfindlichen Grundrechte außer vielleicht denen vom Fickel tangierte, die man aber aus verschiedenen Gründen vernachlässigen konnte, ließ der neue Amtsgerichtsdirektor Leonhard fünfe gerade sein und tat der Kollegin Gundelwein den Gefallen, die Abfrage zu verfügen, auch wenn die Staatsanwaltschaft eigentlich keinen wirklich substanziierten Grund für die Maßnahme vorbringen konnte.
Noch am selben Tag gab die Telefongesellschaft der Gundelwein Auskunft, dass Fickels Handy sich zuletzt in einer Funkzelle ausgerechnet in jenem Planquadrat angemeldet hatte, in dem sich auch die Thüringer-Wald-Residenz befand. Ohne schuldhaftes Zögern [ 53 ] setzte sich die Oberstaatsanwältin daraufhin in ihren kleinen roten Flitzer und fuhr, gefolgt vom Recknagel und dessen Mitarbeitern in seinem übermotorisierten Dienstwagen, über die A71 und die sich anschließende mit Schlaglöchern übersäte Landstraße bis zu dem ehemaligen FDGB -Heim.
Sie mussten nicht lange suchen, bis sie den unter einer Plane verborgenen beigebraunen Wartburg 353 Tourist entdeckten. Christoph und Christian wollten natürlich lieber einen Durchsuchungsbeschluss abwarten, aber die Oberstaatsanwältin zog jetzt den Joker aus dem Ärmel, der sie zum sofortigen Handeln ermächtigte: »Gefahr in Verzug!«
Drei Minuten später stand sie vor dem Bett vom Fickel, der die Gundelwein aus glasigen Augen anglotzte, als wäre sie eine Erscheinung. Einige wenige, vom Gesetz gestattete Sekunden lang gönnte die Oberstaatsanwältin sich diesen Anblick und ergötzte sich an der hilflosen Situation ihres Exmannes. Dann sagte sie mit genüsslicher Stimme: »Herr Fickel, ich verhafte Sie wegen Menschenraubes in Tateinheit mit sexueller Nötigung meiner Person sowie der Verletzung des persönlichen Geheimbereichs durch Filmaufnahmen!«
Tatsächlich kam dem Fickel seine Befreiung wie der reinste Alptraum vor. Sein von den Medikamenten weich gewordenes Hirn weigerte sich, dem Erscheinen seiner Exfrau etwas Positives abzugewinnen. Hilflos, stumm und bewegungsunfähig, ausgeliefert den Launen der Oberstaatsanwältin – so ähnlich hatte er sich in seinen schwärzesten Momenten die Hölle vorgestellt. Erst als der Kriminalrat Recknagel ihm die Hand auf die Schulter legte und ihn ins Zimmer neben die Frau Schmidtkonz schob, begann er langsam, sich zu beruhigen.
Epilog
Solch eine Verhaftungswelle, wie sie auf Fickels Befreiung folgte, hatte Meiningen noch nicht gesehen. Die frisch pensionierte Amtsgerichtsdirektorin wurde von ihrem Weinberg weg wegen des dringenden Tatverdachts des zweifachen Verdeckungsmordes in Gewahrsam genommen. Der Exner wanderte gemeinsam mit der Ramona Dietz wegen Freiheitsberaubung, gemeinschaftlichen Betruges und zahlreicher anderer Vergehen, unter anderem gegen das Betäubungsmittelgesetz, nach Untermaßfeld. Selbst die Ilona musste sich auf einen Strafbefehl einstellen. Die Heike Dietz erholte sich, ebenso wie ein großer Teil der Insassen des dritten Stockwerks, vollständig von ihrer langen »Ruhigstellung«. Von dem Schadensersatz, den ihr Exmann ihr zahlen musste, ging sie nach Kuba und baute dort eine hochmoderne Geriatrieklinik auf, die – wie man hört – inzwischen allerdings teilprivatisiert wurde.
Das Verfahren gegen den Rechtsanwalt Fickel wurde rasch wieder eingestellt, weil das einzige Beweismittel gegen ihn, ein auf einer acht Jahre alten SD -Karte gespeicherter Handyfilm, durch im Nachhinein nicht mehr rekonstruierbare Umstände gelöscht worden war.
Zwei Monate später reichte die Oberstaatsanwältin Gundelwein eine hundertachtzigseitige Anklageschrift gegen den Landrat Kminikowski beim Landgericht ein, in welcher ihm unter anderem Untreue im Amt, Vorteilsgewährung und Bestechung, aber auch Förderung der Prostitution vorgeworfen wurden. Einige der Vorwürfe wurden später wieder fallen gelassen, aber der Landrat musste auf Druck aus dem Justizministerium in Erfurt von all seinen Ämtern zurücktreten. Der Justizstaatssekretär Dr. Veith erklärte wenig später, er hege keine Absichten mehr, Justizminister zu werden, und wechselte in die Privatwirtschaft. An
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