Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
Fickel-Gundelwein, die seit dem vorzeitigen Ende ihrer Ehe aus mehr oder weniger nachvollziehbaren Gründen wieder allein ihren Mädchennamen führt. Doch auch wenn der Fickel vielleicht ein armer Schlucker ist, für ein kleines Dachgeschosszimmer zur Untermiete in der Altstadt mit gelegentlicher Verköstigung langen seine Einkünfte allemal. Viel braucht so ein Anwalt ja nicht zum Leben, und der einzige Luxus, den er sich gönnt, ist die heruntergekommene Datsche mit dem ökologisch korrekt verwilderten Garten an der Werra, wo er viel Lebenszeit auf der Hollywoodschaukel verprasst und Kakteen züchtet.
Nur in Ausnahmefällen ist es bislang vorgekommen, dass der Fickel mal in einem Strafverfahren einspringen musste. Zumeist ging es dabei um Bagatelldelikte wie Fahrraddiebstahl, Nötigung im Straßenverkehr oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Den Höhepunkt seiner Karriere bildete zweifellos das Strafverfahren gegen den Vorsitzenden des Skatvereins »Pik Sieben« wegen angeblicher Veruntreuung der Mitgliedsbeiträge. Dank einer brillanten Beweisführung konnte der Fickel seinerzeit jedoch darlegen, dass die Gelder nicht zweckentfremdet, sondern in diversen Lokalrunden völlig im Einklang mit der Vereinssatzung verwendet worden waren.
Die absolut unglaubliche und für einige Beteiligte sogar verhängnisvolle Kausalkette, die Fickels Anwaltslaufbahn einen unverhofften Schwung verleihen sollte, nahm ihren Anfang an einem der ersten wirklich warmen Frühlingstage im Mai. Die Wiesen auf der Rhön dampften, und die Werra brachte nur noch wenig, dafür aber klares Wasser aus den Höhen des Thüringer Waldes mit. Der Fickel hatte den Tag genutzt, um den Garten auf Vordermann zu bringen und die Scharniere der Hollywoodschaukel zu ölen. Am liebsten hätte er in der Datsche übernachtet, doch just an diesem Abend fand im Sächsischen Hof, dem feinsten Haus am Platz, ein Festbankett für die scheidende Amtsgerichtsdirektorin Driesel statt, die nach zwanzig Jahren unermüdlichen Einsatzes für die Gerechtigkeit ihre wohlverdiente Pension antreten sollte. Zu dem Bankett waren alle wichtigen Vertreter der Meininger Justiz geladen, zu denen sich auch einige erfolgreiche Anwälte gesellten – sowie eben auch der Fickel.
Die Amtsgerichtsdirektorin Driesel verkörperte seit über zwei Jahrzehnten so etwas wie die gute Seele des Amtsgerichts. Obwohl sie nach der Wende eigentlich nur vom Rechtsstaat übernommen worden war, weil sie es während ihres Studiums als eine der wenigen aus irgendeinem Grund verpasst hatte, den Aufnahmeantrag für die SED auszufüllen. Und als 1990 die Gerichte abgewickelt wurden, war sie als Einzige im Richterkollegium nicht »vorbelastet« und wurde vom Justizministerium ohne weitere Prüfung übernommen, Eignung und Kompetenz mal außen vor.
Längst pfiffen es die Spatzen von den Dächern, dass die Driesel ihre Stellung als Direktorin nur bekommen hatte, damit sie mehr mit Administration beschäftigt war und in der Praxis nicht so viele Fehlurteile produzieren konnte. Denn als gelernte Diplomjuristin [ 1 ] kannte sie sich mit dem ganzen Kladderadatsch wie BGB und ZPO anfänglich naturgemäß noch nicht so gut aus. Und es gibt sogar Kollegen, die behaupten, daran habe sich in all den Jahren nicht viel geändert.
Irgendwie hatte es die Driesel gedeichselt, dass ihr gleich nach der Ernennung zur Direktorin im Geschäftsverteilungsplan neben einem kleinen, fast zu vernachlässigenden Posten Zivilrecht das Betreuungsrechtsdezernat zugeschanzt wurde, in dem es, wie Eingeweihte bestätigen, fachlich und aufwandsmäßig eher übersichtlich zugeht.
Alles in allem hatte die Driesel es für eine Diplomjuristin nicht schlecht getroffen. Daher strahlte sie auch stets eine innere Zufriedenheit und Gelassenheit aus, von der viele ihrer Kolleginnen nur träumen konnten. Allein das Privatleben war bei der Direktorin in all den Jahren etwas zu kurz gekommen, vor allem mit dem anderen Geschlecht hatte es nie so recht geklappt. Die Männer ihrer Generation kamen wohl mit ihrer starken Persönlichkeit nicht so gut zurecht.
Der Fickel hatte sich selbst am meisten darüber gewundert, als die Einladung vom Direktorat des Amtsgerichts in seinen Briefkasten flatterte, aber da sich »Bankett« irgendwie nach einem warmen Essen anhörte, dachte er sich, dass er bei der Veranstaltung ruhig vorbeischauen könnte. Zumal er inzwischen überhaupt nicht mehr wusste, wie man im Sächsischen Hof heutzutage so kochte. Denn dort
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