Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
I
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet der Fickel als Anwalt noch mal groß rauskommt. Im Grunde niemand, am allerwenigsten er selbst. Doch aus gewöhnlich gut informierter Quelle ist durchgesickert, dass morgen ein viel gelesenes Boulevardblatt mit einem riesigen Foto seines Charakterschädels aufmachen will. Und da wird es natürlich einige geben, die sich grün und blau ärgern, weil sie einem Winkeladvokaten wie dem Fickel solch einen Erfolg nicht gönnen. Die Oberstaatsanwältin Gundelwein zum Beispiel.
Dabei hätte der Fickel um ein Haar einen anständigen Beruf gelernt, Pharmazeut oder Optiker etwa, aber keineswegs Jurist. Schließlich gab es vor der Wende gerade mal ein Dutzend akkreditierter Anwälte in der näheren Umgebung, wenn überhaupt. Und das, obwohl Meiningen historisch gesehen nicht nur ein wichtiger Umsteigebahnhof auf der zwischen Schweinfurt und Erfurt verkehrenden Main-Rhön-Bahn war, sondern stets auch ein bedeutender Banken- und Justizstandort, zumindest für Südwestthüringer Verhältnisse. Aber aus gewissen, nicht näher zu beleuchtenden Gründen hat man sich in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gegenseitig noch nicht so häufig vor den Kadi gezerrt wie heutzutage, sodass selbst die wenigen einheimischen Rechtsanwälte seinerzeit nie ganz ausgelastet waren und meistens schon am Vormittag die Cafés und Kneipen in der Georgstraße bevölkerten. Dies wiederum mag dazu beigetragen haben, ihren Beruf für den jungen, orientierungslosen Fickel nicht direkt unattraktiv erscheinen zu lassen.
Rückblickend betrachtet, herrschten damals wahrhaft paradiesische Verhältnisse für Juristen. Jedenfalls wenn man bedenkt, wie die Konkurrenz in der Branche inzwischen zugenommen hat, selbst in einem eher überschaubaren Gerichtsbezirk wie Meiningen. Inzwischen sind die Anwälte ja fast mehr mit Akquirieren und Fortbildung beschäftigt als mit ihren Akten! Burn-out vorprogrammiert.
Andererseits macht diesen Zirkus auch nicht jeder mit. Erst neulich hat der Fickel mal bei einer Skatrunde mit den Kollegen von der Wachtmeisterei nach dem sechsten oder siebten Pils nicht ohne einen gewissen Stolz erklärt, dass er nicht einen einzigen Paragrafen von BGB oder S t GB auswendig kann. Justizwachtmeister Rainer Kummer wollte das zuerst gar nicht glauben, weil es nicht in sein Weltbild passte, aber irgendwo konnte er schlecht das Gegenteil beweisen.
Natürlich bleibt solch ein Verhalten auch nicht ohne Folgen, denn der Fickel steht auf der Karriereleiter des Amtsgerichts ganz unten; in der Fresskette der Juristen bildet er gewissermaßen das Plankton. Schließlich ist er Vertreter eines Berufszweiges, den man in der Fachsprache etwas herablassend als »Terminhure« bezeichnet. Wobei sich hinter dem Begriff eine keineswegs unseriöse Spielart der Anwaltstätigkeit verbirgt, nämlich die des Springers, der sich stets bereithält, falls der eigentliche Rechtsbeistand einer Partei beim Prozess aus irgendeinem Grunde verhindert sein sollte.
Um sein Terminhurengeschäft zu betreiben, muss der Fickel praktischerweise nicht einmal ein eigenes Büro unterhalten, geschweige denn eine Sekretärin, er hockt sowieso den lieben langen Tag in einem von der Justizkasse gesponserten, auf angenehme zweiundzwanzig Grad geheizten Anwaltszimmer im ersten Stock des Gerichts, trinkt Kaffee, liest Zeitung und wartet darauf, dass ein Kollege eine Autopanne hat oder plötzlich Halsschmerzen bekommt und ihn als Vertreter in eine Verhandlung schickt.
Selbstredend hat der Fickel von dem Fall, der dann vorn am Richtertisch verhandelt wird, nicht die geringste Ahnung. Ihm ist es egal, für wen er einspringt und um was es dabei geht. Seine einzige Aufgabe ist es, den Klage- oder Abweisungsantrag zu stellen und nach Möglichkeit während der Verhandlung nicht einzuschlafen, obwohl das auch schon vorgekommen sein soll. Zumeist haben die Anwälte in ihren Schriftsätzen sowieso schon im Vorfeld ihr ganzes juristisches Pulver verschossen, den Rest besorgt der Richter dann nach Aktenlage. Im Grunde könnte den Job jeder machen, sogar der Rainer Kummer. Leider fehlt ihm dazu die Anwaltszulassung.
Das Komfortable an dem Beruf ist, dass der Fickel als Terminvertreter seine Gebühr stets vom Mandanten bekommt, egal wie die Sache ausgeht. Ein bisschen mehr als eine echte Hure vielleicht, aber reich wird man damit nicht. Dabei kann der Fickel wirklich jeden Euro gebrauchen, vor allem seit seiner Scheidung von der Oberstaatsanwältin
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