Herrin der Stürme
aber so zu lieben… Es scheint so unwirklich. Irgendwie muß ich den Mut finden, es ihm zu sagen, irgendwann … Mit einiger Anstrengung versuchte Donal sich vorzustellen, wie er gegen Brauch und gesittetes Benehmen verstieß, wenn er ins Arbeitszimmer seines Pflegevaters trat und sagte: »Sir, ich habe nicht abgewartet, bis Ihr mir eine Braut auswählt. Es gibt eine Frau, die ich heiraten möchte …« Er fragte sich, ob Dom Mikhail sehr verärgert über ihn sein – oder, noch schlimmer, er Renata Vorwürfe machen würde. Aber wenn er wüßte, daß es nie mehr im Leben irgendein Glück für mich gäbe, außer mit Renata … Er fragte sich, ob Dom Mikhail je erfahren hatte, wie es war, zu lieben. Seine Ehen waren ordnungsgemäß von seiner Familie in die Wege geleitet worden. Was konnte er überhaupt von den Gefühlen wissen, die ihn und Renata bewegten? Donal spürte den Wind kalt über seinen Körper fahren und zitterte, als er den fernen, warnenden Atemhauch des Donners spürte.
»Nein«, sagte Renata. »Sie kennt die Sturmströmungen zu gut und befindet sich in keiner Gefahr. Sieh nur! Jetzt folgen ihr alle Jungen –« Sie deutete nach oben auf die Reihe von Kindern, die im Wind ihre Kreise zogen und wie ein Schwarm wilder Vögel auf die hohen Klippen Aldarans zujagten. »Komm, Geliebter. Die Sonne wird bald untergehen. Die Winde werden bei Sonnenuntergang sehr heftig. Wir müssen zurückkehren und uns ihnen anschließen.«
Seine Hände zitterten, als er ihr half, die Gurte ihres Gleiters anzulegen.
Renata flüsterte: »Von all den Dingen, die du mit mir geteilt hast, Donal, ist das vielleicht das herrlichste. Ich weiß nicht, ob je eine Frau in den Hellers in der Lage gewesen ist, zu fliegen.« Im wachsenden Purpur der Sonne sah Donal das Flackern einer Träne auf ihren Wimpern. Aber sie entzog sich sacht seinen Gedanken, neigte die Flügel ihres Gleiters und lief das langgestreckte Tal hinab. Sie erwischte eine schnelle Luftströmung und schwebte aufwärts, immer höher und fort von ihm, auf einem langen Luftstrom, bis er sie einholte.
An diesem Abend, als Dorilys allen gute Nacht gesagt hatte und fortgeschickt worden war, bedeutete Aldaran Allart und Renata mit einer Handbewegung, in der Halle zu bleiben. Die Musikanten spielten, und einige der Schloßbewohner tanzten zu den Klängen der Harfen, aber Dom Mikhail runzelte die Stirn, als er einen Brief ausbreitete. »Seht her. Ich habe eine Botschaft nach Storn gesandt, um Verhandlungen über eine Hochzeit mit Dorilys zu eröffnen. Im letzten Jahr wollten sie von nichts anderem sprechen, aber dieses Jahr erhalte ich nur die Antwort, daß wir später darüber reden sollten: Dorilys sei noch zu jung, und wir sollten abwarten, bis sie ins heiratsfähige Alter kommt. Ich frage mich …«
Donal sagte unverblümt: »Dorilys ist zweimal verlobt gewesen, und in beiden Fällen starb ihr Bräutigam kurz darauf einen gewaltsamen Tod. Sie ist intelligent und schön und ihre Mitgift Schloß Aldaran, aber es wäre überraschend, wenn unbeachtet bliebe, daß die, die sie heiraten wollen, nicht lange leben.«
»Wenn ich Ihr wäre, Lord Aldaran«, sagte Allart, »würde ich den Gedanken an eine Heirat aufschieben, bis Dorilys die Pubertät überwunden hat und frei von der Gefahr der Schwellenkrankheit ist.«
Den Atem anhaltend fragte Aldaran: »Allart, habt Ihr etwas vorausgesehen? Wird sie wie die Kinder aus meiner ersten Ehe an dieser Krankheit sterben?«
Allart erwiderte: »Ich habe nichts dergleichen gesehen.« Tatsächlich hatte er sich angestrengt bemüht, nicht in die Zukunft zu schauen, denn es schien, daß zur Zeit nichts zu erblicken war als Katastrophen, von denen viele weder zeitlich noch örtlich bestimmbar waren. Immer wieder hatte er Schloß Aldaran belagert gesehen: fliegende Pfeile, bewaffnete Männer im Kampf, und Blitze, die aufflammten und in die Festung einschlugen. Allart hatte versucht, dasselbe zu tun wie in Nevarsin: Alles aus seinem Geist zu verbannen, nichts zu sehen, denn das meiste waren eh nur Trugbilder und bedeutungslose Ängste.
»Hierfür ist Vorausschau nutzlos, mein Fürst. Auch wenn ich hundert verschiedene Möglichkeiten sähe, würde doch nur eine davon eintreten. Also ist es sinnlos, in die Zukunft zu schauen und sich vor den übrigen neunundneunzig zu fürchten. Wenn es unvermeidlich wäre, daß Dorilys an der Schwellenkrankheit stirbt, könnte ich nicht vermeiden, das zu sehen. Aber ich habe nichts dergleichen festgestellt.«
Dom
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