Herrscher der Eisenzeit
Konflikten außerhalb der Kasernen.
Auch der Einfall der Germanen in Gallien 276 n. Chr. hat Folgen für Britannia. Allerdings profitieren die Britannier eher vom Elend ihrer glücklosen Nachbarn. Angesichts der plündernden Horden und der eher hilflosen römischen Streitkräfte packen viele der gallo-romanischen Wohlhabenden ihren mobilen Besitz zusammen, überqueren den Kanal und bauen sich in der Ruhe der sichereren Provinz Britannia eine neue Existenz auf. Der Zustrom neuen Kapitals und Know-hows führt im Südosten zu einem deutlichen wirtschaftlichen Aufschwung.
Erst Mitte des 4. Jahrhunderts gewinnt die Bedrohung von außen auch für Britannien an Bedeutung. Allerdings sind die »Feinde« durchaus differenziert zu betrachten.
Jenseits der nördlichen Grenze des römischen Britanniens, dem Hadrianswall, leben zum einen einige keltische Gemeinschaften wie die Pikten und ein erst kürzlich eingewandertes Volk, das sowohl von den Letzteren als auch von den Römern als »Seeräuber« bezeichnet wird. Diese unternehmen spontane Raubzüge in römisches Territorium, die von den in Grenznähe stationierten Truppen leidenschaftslos und mehr schlecht als recht abgewehrt werden. Doch ab 340 n. Chr. scheint der amtierende westliche Kaiser Constans Zweifel bezüglich der relativen Harmlosigkeit seiner nördlichen Nachbarn in Britannien zu haben. Dafür spricht das Entstehen einer neuen Berufsgruppe, der aureani . Es sind keltische Britannier verschiedener auf römischem Territorium lebender Völkerschaften, die quasi als Geheimagenten nach jenseits des Hadrianswalls gesandt werden. Dort sollen sie sich unter die einheimische Bevölkerung mischen und Informationen über eventuelle antirömische Aktivitäten sammeln. Ein nicht ungefährliches Unterfangen.
In den Jahren 366 und 367 n. Chr. fallen wie in einer gemeinschaftlich geplanten Aktion die Pikten und die »Seeräuber« plündernd über die nördlichen Grenzgebiete her. Gleichzeitig wird die Südküste Britanniens von Gallien aus von Sachsen und Franken angegriffen.
Diese Angriffe treffen die römische Provinz völlig unvorbereitet. Im Römischen Reich setzt man sich zu diesem Zeitpunkt gerade mit Glaubensfragen auseinander. Christentum und die alten römisch-griechischen Götter buhlen um den Status als Staatsreligion, was schließlich in der Teilung des Römischen Reiches kulminieren wird. Die Vorgänge an den äußeren Grenzen werden in Rom und Konstantinopel im öffentlichen Bewusstsein in den Hintergrund gedrängt.
Dass gegen den Hintergrund der römischen Glaubenskrise und innerpolitischen Spaltungen ein gewisser Ablenkungseffekt eintritt und die Vorgänge in Gallien und Südbritannien nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen, mag man ja noch verstehen. Doch hätte nicht zumindest im britannischen Norden der »Geheimdienst« rechtzeitig die Informationen über die bevorstehenden Angriffe haben und an die römische Militärverwaltung in Britannien selbst weiterleiten sollen?
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die aureani die entsprechenden Informationen tatsächlich frühzeitig haben. Dass sie sie nicht weiterleiten, liegt daran, dass sie außer den Informationen bereits recht frühzeitig nach ihrer »Arbeitsaufnahme« noch etwas anderes haben, nämlich ein besseres Angebot. Warum sich mit einem Trinkgeld von römischen und romano-britischen Beamten für eine gefährlichen Arbeit begnügen, wenn man mit den richtigen Verbündeten (zum Beispiel den Pikten) reiche Beute machen kann?
Doch ist Ablenkung durch Vorgänge in Rom und das Überlaufen des Geheimdienstes keine ausreichende Begründung dafür, dass man den Angriffen in der Provinz Britannia nur halbherzig Widerstand entgegensetzt. Die Hauptschuld trägt vielmehr eine allgemeine Lethargie, hervorgerufen durch eine gelernte zufriedene Behäbigkeit. Wer etwas auf sich hält, strebt Ämter in der Provinz- oder Lokalverwaltung an. Gleichzeitig gehört es jedoch zum guten Ton, jemanden, der ein solches Amt übernommen hat, angemessen zu bemitleiden ob der Last der Verpflichtungen, die auf seinen Schultern ruht. Auch geht es nur um das Erreichen der Positionen; kaum dass man sie hat, versucht man sie auch wieder loszuwerden. Ämter sind Prestigeobjekte ohne Inhalte. Perspektivlosigkeit macht sich breit. Verschiedene Prozesse sind hier gleichzeitig am Werk. Britannien ist inzwischen wirtschaftlich weitestgehend autark, mit der langfristig katastrophalen Folge, dass der Fernhandel
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