Herrscher der Eisenzeit
neue gesellschaftliche Verhältnisse mit, die von den Clanführern schnell übernommen werden. Land ist nun nicht mehr Gemeineigentum, sondern gehört dem Laird, der es als feudaler Herr von seinen Lehnsdienern bewirtschaften lässt. In nur wenigen Jahrhunderten vergessen und verdrängen sie ihre keltischen Ursprünge, vermischen sich mit den Angelsachsen. Ab 1124 verstärkt sich der Einfluss der Normannen, nicht zuletzt durch den amtierenden schottischen König David, dem vierten Sohn der Margaret. Dieser ist so beeindruckt von den Errungenschaften der Normannen, dass er Angehörige der normannischen Aristokratie einlädt, sich in Schottland anzusiedeln. Nach und nach werden aus den ehemals keltischen Clanoberhäuptern anglo-normannische Aristokraten, Adlige mit Ansprüchen und Bedürfnissen. Der Handel blüht auf, Städte entstehen. Auf der Basis der neuen gesellschaftlichen Verhältnisse stirbt in den Lowlands auch die keltische Sprache und wird durch einen eigenen Dialekt abgelöst, der kein Gälisch, aber auch kein Englisch ist, aber viele Elemente von beidem beinhaltet. DerSüdschotte sagt noch heute nicht »small«, sondern »wee«, ein Mädchen ist kein »girl«, sondern eine »lass«, und in der Dichtersprache eines Robert Burns sind schöne Täler keine »beautiful valleys«, sondern »bonie braes«.
2,2 Millionen Besucher haben Mel Gibson als »Braveheart« (USA, 1995) allein in Deutschland im Kino gesehen. Und wenn Liam Neeson als »Rob Roy« (USA, 1995) über den Fernseher flimmert, sitzen Hunderttausende von Zuschauern noch heute gebannt vor den Bildschirmen, versunken in romantischer Zuneigung für die stolzen, wilden Schotten, die in buntkarierten Röcken gegen gesichts- und seelenlose Briten anrannten. Und sie glauben, die letzten Kämpfe der keltischen Schotten gegen die nach Norden vordringenden Briten zu sehen (Filmszene s. im Farbbildteil Abb. 31).
Was sie wirklich sehen, sind die Machtkämpfe anglo-normannischer Herren, bei denen das Keltische kaum mehr als eine Erinnerung ist.
Doch da ist ja noch die Heimat der Skoten, die nie ein Römer betreten hat, auf der nie ein angelsächsischer Schlachtruf erklang.
Es ist die Insel der Heiligen, der Helden, der Banshees, des Wald- und des Kleinen Volkes, der Feen, Kobolde und der Trolle.
Krieger, Legenden und Heilige
Der Anfang – eine Legende
Es klopft an der Tür. Unwillig wendet Túan seinen Blick von seinem Torffeuer ab. Gerade erst hat es richtig zu brennen begonnen, in einer kleinen Weile wird die Wärme wie eine Welle über ihn schwappen, ihn einhüllen und ihm das Gefühl von Wohlbehagen geben. Das Letzte, was er jetzt braucht, ist jemand, der an diesem Wohlbehagen teilhaben will.
Es klopft wieder. Mit einem Knurren springt Túan aus seinem Sessel und greift nach seinem Speer. Es sollte wirklich wichtig sein, sonst …
Verblüfft prallt er zurück, als die schwere Tür zurückschwingt. Einen Bettler hätte er erwartet, vielleicht auch einen anderen Clansführer. Aber das? Ein Mönch?
»Mein Name ist Finnen«, beginnt der Gast ohne zu zögern. »Ich bin gekommen, um deine Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen.«
Túan starrt den Mann an. Sein Mund klappt ein paar Mal auf und zu, dann schüttelt er den Kopf und schlägt die Tür wieder zu. Noch nie hat jemand derart plump seine Gastfreundschaft eingefordert.
Weiß der Kerl eigentlich, wen er vor sich hat?
Nun, das weiß Finnen im Einzelnen nicht. Er quittiert das Zuschlagen der Tür mit einem milden Lächeln, rafft seine Kutte und lässt sich auf gekreuzten Beinen auf der Schwelle nieder.
Es ist schon Abend, als Túan die Tür wieder öffnet, um nach dem reichlichen Essen noch ein paar Schritte an der frischen Luft zu tun – und dabei fast über Finnen stolpert. Ihm wird kalt. Hat der etwa den ganzen Tag hier gehockt? Für jeden sichtbar? Wo es keine größere Schande gibt, als einen Hungernden auf seiner Schwelle sitzen zu haben? Plötzlich schämt er sich seines vollen Magens. Er berührt den Mönch an der Schulter, und ohne Worte gehen sie gemeinsam ins Haus …
Als Finnen am nächsten Tag zu seinem Kloster zurückkehrt, wird er bereits von den anderen Mönchen erwartet. Sie sind gespannt, denn die Geschichten, die über Túan mac Cairill kursieren, haben eigentlich eher für ein Scheitern der Mission ihres Abtes Finnen gesprochen. Doch ihr Klostervorsteher macht einen gelösten, zufriedenen Eindruck. Auf die fragenden Blicke seiner Anhänger sagt er: »Túan mac Cairill ist gar
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