Schief gewickelt (German Edition)
1 R ONALDINHO
»Mein Penis ist schon wieder steif.«
Das war es. Genau das musste jetzt gesagt werden. Ich bin erledigt. Natürlich gibt es Situationen, in denen dieser Satz angebracht ist. Penis klingt zwar ein wenig technisch und unromantisch, aber über solche Unvollkommenheiten lässt sich, wenn es drauf ankommt, auch mal hinwegsehen. Einen guten Namen für das männliche Glied zu finden ist ohnehin eine Lebensaufgabe, an der die meisten Paare scheitern.
Das ist aber hier nicht das Problem. Das Problem ist, ich sitze, während diese Worte noch in der Luft nachklingen, mit einer gutgekleideten siebzigjährigen Dame, einer zehn Meter gegen den Wind nach Feministin riechenden Erzieherin und einem solariumgegerbten Prollpärchen, das garantiert jeden Morgen als Erstes die Bild -Zeitung nach den neuesten Sexualstraftäter-Schauergeschichten durchsucht, um sie sich gegenseitig beim Frühstück vorzulesen, in einem kuscheligen Zugabteil.
Dass nicht ich diesen Satz gesagt habe, sondern Daniel, mein zweieinhalbjähriges Monster von Sohn, das gerade auf meinem Schoß aufgewacht ist, macht meine Lage nicht besser. Im Gegenteil. Ich weiß, was die Leute denken. Mögen sie auch noch so sehr lächeln oder so tun, als hätten sie nichts gehört, insgeheim sind sie überzeugt, dass ich, Markus Heisenkamp, ein Kinderschänder übelster Sorte bin. Und ich weiß, dass diese Aktion ein weiterer kleiner Schritt hin zu Daniels erstem großen Lebensziel ist: mich fertigzumachen.
Dabei wollte ich ihm das Wort »Penis« gar nicht beibringen. »Wutz« wäre für den Anfang völlig in Ordnung gewesen. Aber Simone bestand auf »Penis«. Von Anfang an so wenig Kinderkauderwelsch wie möglich. Hat sie in ihrem VHS -Kurs über moderne Erziehung gelernt. Nur dass der Penis »steif« ist und nicht »erigiert«, da konnte ich mich gerade noch durchsetzen. Aber auch nur, weil sie fand, dass »erigiert« zu schwierig auszusprechen und »steif« zum Glück ganz normale Erwachsenensprache ist.
Wie wichtig das Penis-Thema schon bald werden würde, konnten wir natürlich beide nicht ahnen. Hätten wir gewusst, dass Daniel uns ein paar Monate später mindestens zwanzigmal am Tag über den Steifheitsgrad seines besten Stücks unterrichten würde – ich schwöre, ich hätte Simone dazu gebracht, ihm ein anderes Wort beizubringen. Aber das ließ sich nun ebenso wenig rückgängig machen wie unser Telekom-Aktienkauf.
Und jetzt habe ich, wie gesagt, ein Riesenproblem. Dabei hätte die Zugfahrt so nett werden können. Die alte Dame ist gleich nach dem Einsteigen wie Wachs unter Daniels Blicken geschmolzen. Man konnte ihre Gedanken lesen. »Warum habe ich nur all diese unnützen Schminksachen, Kalender und Kreditkarten in der Handtasche? Warum gehe ich ohne Bonbons und Stofftiere aus dem Haus? Wie stehe ich jetzt da?« Um ihr Versagen auszubügeln, streichelte sie ihm die Haare, pikste ihren Zeigefinger sanft in seinen Bauch und war überglücklich, als er sich bereit erklärte, auf ihrem Schoß zu sitzen.
Die abgebrühte feministische Erzieherin war da schon ein anderes Kaliber. Sie war froh, dass die alte Dame den Job übernommen hatte, Daniel zu bespaßen, und vergrub sich in ihrem Rätselheft. Aber Daniel gibt niemals auf, wenn es darum geht, Frauen zu schmelzen. Und er hat bis jetzt noch jede geschafft. Meist reicht ein Augenaufschlag. Und wenn es das nicht tut, sucht er geduldig den Schwachpunkt, und sobald er ihn gefunden hat, schlägt er zu wie Vitali Klitschko.
Der Schwachpunkt der Erzieherin war, dass sie beim Grübeln über schwierige Fragen immer von ihrem Rätselheft hochsah und an ihrem Stift kaute. Daniel schoss dann jedes Mal einen Blick ab, der einen Güterzug aus dem Gleis geworfen hätte, um sich dann sofort wieder tief im Arm der alten Dame zu vergraben. Drei Anläufe reichten und sie gab auf.
»Na, du hast vielleicht schöne braune Kulleraugen.«
Und so ein Satz aus dem Mund einer altgedienten Erzieherin, das bedeutet nicht weniger als »Ich durchschaue zwar deine Tricks, aber egal – nimm mich! Jetzt!« Überhaupt, eine Frau, die den ersten Schritt macht – manche Männer träumen ihr ganzes Leben lang davon.
Beim Prollpärchen, das später zustieg, hatte Daniel wieder leichtes Spiel gehabt. Die beiden trugen nämlich den Satz »Wir wollen bald ein Kind« quasi in roter Blinkschrift auf der Stirn spazieren (und ich hatte sofort den Impuls, dem Prolljungen in nur für Männer sichtbarer Schrift »Weißt du auch, was du da
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