Herrscher über den Abgrund
Fähigkeiten, die kein Mensch je zu erlangen hoffen durfte.
Sander erhob sich, saß aber nicht auf, sondern glitt vorsichtig den Abhang hinunter. Rhin folgte wie ein bräunlich-gelbes Gespenst ein, zwei Schritte hinter ihm. Sander trug seinen Pfeilwerfer schußbereit in der Hand und lockerte das lange Messer in der Lederscheide.
Als sie sich dem geplünderten Dorf näherten, stieg Sander der beißende Geruch von brennendem Holz und noch ein anderer, schlimmerer in die Nase. Rhin knurrte und nieste: auch er fand die Gerüche widerwärtig. Aber er schien noch keine Feinde gewittert zu haben.
Sander machte einen Bogen um die blutigen Leichen am Flußufer und hielt auf die unversehrten Häuser zu. Er vernahm das Klatschen der Wellen und spürte einen neuen Geruch, fremd und erfrischend, den ihm der Wind zutrug. Sollte das wirklich das Meer sein und nicht nur ein großer See?
Er zögerte, als er sich dem nächstgelegenen Gebäude näherte. Doch dann überwand er die instinktive Abneigung, die er verspürte, denn er mußte nach Nahrung suchen. Er zwang sich also, den schmalen, überdachten Gang zu betreten.
Die Wände waren aus wuchtigen Balken gefügt und hatten nur ganz hoch oben, fast verdeckt vom Dach, kleine Öffnungen. Sander erreichte das Ende des Gangs, ohne eine Tür zu finden. Dann wandte er sich nach rechts.
Die Tür bestand aus massigen Balken. Jetzt aber hing sie schief in den Angeln: Man hatte sie gewaltsam aufgebrochen. Rhin knurrte, und seine Zunge leckte über die Lefzen. Direkt hinter der Tür lag eine Gestalt. Eingetrocknetes Blut befleckte den Kittel. Der Dorfbewohner lag auf dem Gesicht, und Sander scheute sich, ihn umzudrehen.
Der Fremde trug nicht die Leder- oder Fellkleidung der Horde, sondern eine Art grob gewebtes Hemd in einem Nußbraun. Weiter trug er unförmig weite Hosen aus demselben Material und verschnürte Stiefel aus Häuten. Lange zögerte Sander, ehe er unsicher um die leblose Gestalt herumging und tiefer in den Raum vordrang, der offensichtlich nicht nur durchstöbert, sondern auch mutwillig zerstört worden war.
In einer Ecke lag ein weiteres lebloses, blutbeschmiertes Bündel, aber Sander vermied nach dem ersten flüchtigen Blick krampfhaft, in die Richtung zu sehen. Obgleich der Raum verwüstet und geplündert war, konnte Sander dennoch erkennen, daß die Bewohner weit mehr Dinge besessen haben mußten, als je einer aus der Horde. Das entsprach natürlich ihrer anderen Lebensweise. Man konnte eben keine Tische und Stühle mit sich führen, wenn man ständig hinter den Herden herzog. Er hob eine zerbrochene Schüssel auf, weil ihm die Zierleiste aufgefallen war. Zwar bestand sie nur aus einigen dunklen Strichen, die sich deutlich von dem heller braunen Ton des Gefäßes abhoben, doch als er sie genauer betrachtete, konnte er einen Schwarm fliegender Vögel darin erkennen.
Rasch trat er zu den Vorratsbehältern. Draußen klagte Rhin, und Sander verstand ihn nur zu gut: ihm war unbehaglich, und er wollte fort. Trotzdem zwang Sander sich, die Behälter zu durchsuchen.
Er fand ein Maß Mehl, vermischt mit gestoßenen Nüssen. Mit Hilfe der zerbrochenen Schüssel schaufelte er es in einen Behälter seines Proviantsacks. In einem anderen umgestoßenen Gefäß fand er zwei getrocknete Fische. Alles übrige war mutwillig zerstreut oder beschmutzt worden. Er spürte förmlich den tödlichen Haß, der in der Hütte gewütet hatte. Schauernd lief er hinaus zu Rhin.
Trotzdem überwand er sich und ging auf das nächste Haus zu. Auch hier war die Tür mit Gewalt geöffnet worden. Ein Blick in das Innere genügte ihm, entsetzt wandte er sich ab. Nichts würde ihn dazu bewegen können, hineinzugehen. Es schien, daß die Plünderer sich nicht damit zufrieden gegeben hatten, die Bewohner zu töten; sie hatten sich auf eine bestialische Weise an den Dörflern ausgetobt. Sander würgte und wandte sich eilig dem Weg zu, der an den unbeschädigten Gebäuden vorbeiführte.
Ein Haus mußte er unbedingt finden: Irgendwo mußte es eine Schmiede gegeben haben. Er legte die Hand auf den Beutel mit Werkzeugen, der an Rhins Sattel befestigt war. Er enthielt alles, was er von seinem Vater besaß. Ibbets hätte auch sie gerne beschlagnahmt, so wie er das Amt des Schmieds für die Horde beansprucht hatte, doch war Sander hierbei das Gewohnheitsrecht zu Hilfe gekommen.
Freilich hatte man zwei der größten Hämmer und die Meißel seinem Vater Dullan ins Grab gegeben. Da das Werkzeug eines Mannes einen
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