HERZ HINTER DORNEN
du weißt es!«
Die junge Hofdame blinzelte ihr mutwillig zu. »Ich wette, das Rätsel löst sich, wenn ich sehe, mit wem du beim Bankett das Mahl teilst! Pass aber auf, dass du nicht dem schottischen Grafen in die Hände fällst, er vertreibt alle anderen Ritter mit seinem finsteren Blick!«
Die Prinzessin ersparte Roselynne eine Antwort, denn die Fanfaren aus der großen Halle riefen zum Festmahl. Sie ordnete sich an ihrem üblichen Platz im Gefolge der hohen Frau ein und raffte mit angeborener Grazie ihr spektakuläres Gewand. Es fiel ihr nicht auf, dass die Gewebe und Stickereien das Licht der Fackeln und Kerzen, die in verschwenderischer Fülle brannten, förmlich anzogen. Sie leuchtete in dem Kreis der Ehrendamen wie eine strahlende Lichtquelle auf einer Waldlichtung.
Sie zog auch die Augen des Seigneurs von Luthais wie magisch auf sich, obwohl er sich geschworen hatte, nicht nach ihr Ausschau zu halten. Aber wie sollte er es vermeiden, wenn sie aussah wie eine Gestalt aus den alten Sagen? Eine höchst lebendige Göttin, denn seine Hände erinnerten sich wie von selbst an die seidige Glätte ihres Fleisches und die verwirrende Festigkeit ihrer Brüste. Himmel, jene Brüste, die nun fast aus dem Rahmen ihres Ausschnitts quollen und nur von einer barbarischen Brosche im Zaum gehalten wurden, deren Form sich so schwer in ihre Haut drückte, dass er sie am liebsten davor geschützt hätte.
Er vernahm ein unterdrücktes Knurren neben sich und entdeckte erst jetzt, dass ausgerechnet jener Mann neben ihm stand, dessen Aufmerksamkeit er auf diplomatische Weise bisher vergeblich gesucht hatte. Der schottische Graf von Duncan war indes völlig verloren im Anblick der Ehrendamen. Kam es ihm nur so vor, oder gingen auch die Augen des Schotten in die eine, ganz besondere Richtung? Und konnte er es ihm verübeln, dass er so viel provozierende Weiblichkeit ebenfalls anziehend fand?
Der blonde Normanne ertappte sich bei dem wütenden Wunsch, einen Mantel um Roselynne de Cambremer zu legen. Am besten einen weiten, blickdichten und dunklen, damit nicht jeder gierige Laffe seine sabbernden Blicke auf diesen hinreißenden Ausschnitt heften konnte. Jetzt neigte sie das Knie vor dem König, und der Gedanke daran, was Rufus aus dieser Perspektive von ihrem verführerischen, mädchenhaften Busen zu sehen bekäme, fachte seinen Zorn nur noch mehr an.
Dass es in Rouen ebenfalls begehrenswerte Edelfrauen gab, die sich weit provozierender kleideten und benahmen, wollte ihm in diesem Moment nicht einfallen. Er bekam schmale Augen, während Rufus der Schönen einen Platz an der hohen Tafel zuwies und suchend seine Augen durch die Halle gleiten ließ.
Der König behielt es sich höchstpersönlich vor, einen Ritter zu suchen, dem er die Ehre zuteil werden lassen konnte, das Mahl mit der liebreizenden Ehrendame seiner Schwester zu teilen.
Dass ihm selbst diese Ehre zuteil wurde, begriff der Seigneur von Luthais erst, als der Haushofmeister des Königs vor ihm stand, um ihn an die Tafel zu führen. Rufus bedachte seinen Gast mit einem leicht zynischen Lächeln, das ihm zu eigen war und hinter dem er so vortrefflich seine wahren Gefühle zu verbergen verstand.
»Erlaubt, dass ich Euch für diesen Abend eine der schönsten Rosen meines Hofes anvertraue, Seigneur«, sagte er trocken. »Roselynne de Cambremer ist die Tochter eines Waffengefährten meines Vaters und mir und meiner Familie lieb und teuer.«
Der Seigneur de Luthais quittierte die unerwartete Ehre mit einer ebenso eleganten wie knappen Reverenz. Als er sich aufrichtete, streifte sein Blick für einen Herzschlag lang das bärtige Gesicht des Grafen von Duncan.
Er wirkte noch finsterer als sonst, ein mürrischer, bedrohlicher Fremdkörper inmitten eines fröhlichen Festes. Wenn er so weiter machte, würde er sich allein mit dieser Miene als Feind des Königs verraten. Die Kaledonier aus dem Norden besaßen weder Manieren noch diplomatisches Feingefühl.
Am liebsten wäre er zu ihm geeilt und hätte ihn ermahnt, sich zusammenzureißen, aber das kam natürlich nicht infrage. Der König wartete darauf, dass er Roselynne de Cambremer seine Komplimente entbot und sich für die erwiesene Gnade dankbar zeigte. Er neigte sich über die unmerklich bebende weiße Hand, die sich ihm entgegen reckte, und küsste die zarten Fingerspitzen. Ein feiner Duft nach Rosen und Lavendel lag über ihrer Haut, und die Hand wog nicht mehr als ein Lufthauch.
»Ihr seht mich entzückt von einer
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