Herz nach Maß (German Edition)
Kapitel 1
Hetero.
Das Wort blitzte in Wills Kopf auf. Egal, ob er aktiv darüber nachdachte oder nicht, er kam nicht umhin, jeden Mann eingehend zu mustern, ganz gleich, wie alt oder unattraktiv er war.
Der Mann, der auf seiner vorderen Veranda stand, war etwa Mitte vierzig. Er hatte dunkelbraune Haare, die mit grauen Strähnen durchzogen waren, und tief liegende, blaue Augen über einer markanten Nase. Auf seinem blassblauen Arbeitshemd aus Jeansstoff waren in kleinen roten Buchstaben die Worte Affordable Improvements aufgestickt. Er trug dunkelblaue Jeans über abgewetzten, braunen Arbeitsstiefeln. Seine Hände waren groß, die Finger kräftig und schwielig. Sie sahen aus wie die Hände von jemandem, der mit ihnen sein Geld verdiente.
»Hi. Ich bin Jack Crawford. Sie haben wegen Renovierungsarbeiten in Ihrer Küche angerufen?«
»Genau. Kommen Sie rein.«
Sie gaben sich die Hände, Jacks Handschlag war fest und freundlich. Aus irgendeinem seltsamen Grund wollte Will nicht loslassen. Für den Bruchteil einer Sekunde kam er ins Grübeln, ob er vielleicht falsch getippt hatte. Möglicherweise war der Kerl doch schwul? Bei dem Gedanken regte sich sein Schwanz. Er sah nach oben ins Gesicht des Mannes, entdeckte jedoch nichts weiter als ein harmloses, freundliches Lächeln. Er kam sich ein wenig dumm vor, als er Jacks Hand losließ und diesem bedeutete, ihm zu folgen.
Bis vor drei Monaten hatte Will in der Stadt gelebt. Tagsüber hatte er als Trader bei einer angesehenen Investmentbank gearbeitet und nachts die Clubs von Manhattan unsicher gemacht. Schlaf, hatte er lachend gegenüber seinen Freunden und Lovern zu sagen gepflegt, wurde überbewertet.
Nachdem er den ganzen Tag über zu viel Kaffee in sich hineingeschüttet hatte und das Adrenalin durch seine Adern gerauscht war, weil er mit dem ganz großen Geld an der Börse gespielt hatte, hatte Will immer öfter das Bedürfnis nach Schlaftabletten und Alkohol verspürt, um wieder runterzukommen. Sein Arzt hatte ihn gewarnt, dass er ein Burn-out erleiden würde, noch bevor er fünfunddreißig war, wenn er nicht etwas von der Geschwindigkeit aus seinem temporeichen, hektischen Lebensstil nahm.
Als sein Boss, gerade mal fünfundfünfzig Jahre alt, aufgrund einer schweren Herzattacke direkt vor ihm tot umgefallen war, war Will zutiefst erschüttert einen Schritt zurückgetreten, um sich neu zu sortieren. Bei seiner Firma hatte er eine Freistellung beantragt, entschlossen, sein Leben einem kritischen Blick zu unterziehen und herauszufinden, was zur Hölle er hier eigentlich tat. Er hatte sich entschieden, ein Haus in einem Vorort zu kaufen, und hatte ein altes Tudorhaus zu einem Spottpreis erworben.
Die ruhige, von Bäumen gesäumte Nachbarschaft von Scarsdale war eine ziemliche Veränderung im Vergleich zu dem hektischen, unter Druck stehenden Puls der Stadt. Er vermisste die Clubs und die Lebendigkeit des städtischen Nachtlebens, aber er war gewillt, diesem neuen Leben eine Chance zu geben – zumindest für die sechsmonatige Beurlaubung, die er mit seiner Firma ausgehandelt hatte.
Er hatte nicht mit den Kosten und der Arbeit gerechnet, die mit der Renovierung eines hundert Jahre alten Gebäudes einhergingen, das offensichtlich zuletzt in den Sechzigern erneuert worden war, als Avocado-Grün und Kotz-Orange die bevorzugte Farbkombination gewesen war.
Er hatte bereits schlechte Erfahrungen mit einem Elektriker gemacht, den er engagiert hatte und der anfangs übereifrig ans Werk gegangen war, nur um dann mit Abwesenheit zu glänzen. Kabel baumelten herum und die Arbeit blieb unbeendet liegen, bis Will sich dazu gezwungen gesehen hatte, den Elektriker in Abwesenheit zu feuern.
Wenigstens war ihm Jack von einem Freund empfohlen worden, der ihm versichert hatte, dass er gute, verlässliche Arbeit zu einem vernünftigen Preis leistete und – was noch wichtiger war – auch aufkreuzte, um zu beenden, was er angefangen hatte.
»Was für Veränderungen haben Sie sich vorgestellt?« Jack sah sich in der langen, schmalen Küche mit dem sich wellenden Linoleumboden, den grünen Schränken und orangefarbenen Oberflächen um.
»Die Frage ist eher, was ich nicht verändern will«, witzelte Will. »Die Frau, die hier gewohnt hat, hat das Haus zusammen mit ihrem Mann vor sechzig Jahren gekauft. Sie hat mir erzählt, dass ihre Kinder in den letzten dreißig Jahren seit seinem Tod versucht haben, sie zum Auszug zu überreden.«
»Warum, glauben Sie, ist sie schließlich
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