0151 - Der Rächer und sein Richter

Richter Morgan saß gerade beim Frühstück, als er sein Telefon klingeln hörte. Er Heß seine Zeitung nicht aus der Hand, denn Jeanette, die farbige Haushälterin, würde sich schon um den Anruf kümmern. Er hörte ihre Stimme draußen im Flur, und dann erschien sie selbst in ihrer ganzen Gewichtigkeit und meldete, dass ein gewisser Hunk Johnes den Richter am Telefon zu sprechen wünsche.
    Hunk Johnes - der Name hing in der Luft und klang lange nach.
    »Hunk Johnes«, wiederholte der Richter nachdenklich. »Hunk Johnes, wo habe ich den Namen schon gehört?«
    Er grübelte, konnte aber zu keinem Resultat kommen. Schließlich gab er es auf und brummte: »Na ja, ich werde mir mal anhören, was dieser Hunk Johnes will. Es wird sich ja herausstellen.«
    Er legte die Zeitung aus der Hand, stand auf und ging in den Flur hinaus. Nach etwas altmodischer Sitte stand bei Richter Morgan das Telefon auf dem Flur. Der Hörer lag neben dem Apparat, und Richter Morgan hob ihn mit seiner schlanken Künstlerhand auf.
    »Morgan«, sagte er.
    »Ist dort Richter Morgan von der elften Strafkammer?«
    »Genau.«
    »Sie haben vor sieben Jahren das dritte Schwurgericht geleitet, stimmt das?«
    »Na, ob das vor sieben Jahren war, weiß ich nicht mehr so genau. Jedenfalls habe ich’s mal geleitet. Aber wenn Sie eine Auskunft über einen der damals verhandelten Prozesse haben wollen, müssen Sie sich schon an die Gerichtskanzlei wenden. Ich kann unmöglich alles im Kopf haben, was ich in dreißig Jahren Amtszeit verhandelt habe.«
    »Ich brauche keine Auskunft. Ich habe nämlich nichts vergessen, Euer Ehren. Können Sie sich nicht mehr erinnern, mit wem Sie sprechen? Hunk Johnes, sagt Ihnen der Name gar nichts?«
    »Er kommt mir bekannt vor. Aber ich kann mich im Augenblick beim besten Willen nicht erinnern, woher.«
    »Ich will Ihr Gedächtnis auffrischen, Richter! Was haben wir heute für ein Datum?«
    »Hören Sie mal, Sie wollen mich wohl zum Narren halten, was? Wenn Sie das Datum wissen wollen, dann hätten Sie besser eine Zeitung gekauft, statt mich beim Frühstück zu stören!«
    Die bisher so leise Stimme am Telefon wurde plötzlich schneidend kalt: »Einen Augenblick, Morgan! Ich werde mich kurz fassen, damit dir Lump der Kaffee nicht kalt wird! Heute vor sieben Jahren kam der Zuchthausdirektorin meine Zelle und teilte mir mit, dass meine Hinrichtung genau heute in einer Woche morgens um vier Uhr dreißig stattfinden werde. Das Todesurteil zu dieser bevorstehenden Hinrichtung hatte damals ein Richter namens Morgan gesprochen. Okay, Morgan: Ich habe dich gefunden, um dir zu sagen, dass ich dich in einer Woche, morgens um vier Uhr dreißig hinrichten werde! Das ist alles!«
    Klack. Der Teilnehmer hatte aufgelegt. Richter Morgan runzelte die Stirn, dann schüttelte er den Kopf und brummte.
    »Muss wohl ein Verrückter gewesen st in.«
    Richter Morgan nahm die ganze Sache noch nicht ernst.
    ***
    Phil und ich rauchten unsere Morgenzigarette und warteten auf die Dienstbesprechung, die uns neue Arbeit einbringen würde, denn wir hatten gestern Abend eine kleinere Angelegenheit beendet und waren jetzt also wieder frei für neue Dinge.
    Die Arbeit kam, noch bevor es eine Dienstbesprechung gegeben hatte. Mr. High, unser Distriktchef, rief uns an.
    Da Phil näher am Telefon saß,, hatte er den Hörer abgenommen und führte das Gespräch, während ich mir nur die Mithörmuschel ans Ohr drückte und so alles mitbekam.
    »Guten Morgen, Phil. Ist Jerry auch da?«
    »Ja, er sitzt neben mir. Wollen Sie mit ihm sprechen?«
    »Das ist nicht nötig. Ich wollte gerade von zu Hause Weggehen, als mich der Anruf unserer Zentrale erreichte. Sie erhielt eine Meldung, dass auf Rikers Island ein Gefangener ausgebrochen ist. Fähren Sie hin und kümmern Sie sich um die Sache, ja?«
    »In Ordnung, Chef.«
    Phil legte den Hörer auf und wandte sich mir zu: »Ob das ein Witz sein soll?«
    »Ich bin der Meinung«, sagte ich, »dass es einer ist. Auf Rikers Island ist ein Gefangener ausgebrochen! Wer soll denn das fertig bringen?«
    Rikers Island ist eine Insel südöstlich von der Bronx im East River. Praktisch ist die ganze, nicht gerade kleine Insel ein einziges Gefängnis. Ich konnte mich nicht erinnern, je gehört zu haben, dass dort jemand ausgebrochen wäre.
    »Ich denke, es ist besser, wir halten erst einmal telefonisch Rücksprache«, sagte ich. »Bis nach Rikers Island ist es ein verdammt weiter Weg, und die Meldung klingt so unglaubwürdig, dass ich ihn