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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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Bastelleidenschaft nie gelungen, die Uhr zu reparieren. In der Kirchenleitung hielt man eine Differenz von drei Minuten nicht für ausreichend, einen Uhrmacher zu beauftragen.
    »Wenn es nur Wasser ist«, lachte er, um die vermeintliche Spannung aus der Untersuchung zu nehmen. Er wollte sich schon vom Fenster wegdrehen, da bemerkte er den Hund, der kurz schnüffelnd an dem roten Wagen stehenblieb und dann in schnellem Trab weiter die Straße entlanglief. Der Arzt beugte sich vor, um zu sehen, ob das große Tier bei der Kirche zu seinem Herrn, dem Pastor, einbog. Aber der Hund kreuzte die Straße, ging auf die kleine Verkehrsinsel zu, die durch die Abzweigung der Cornelius-van-Grunten-Straße von der Dorfstraße entstanden war. Die neue Straße, ein ehemaliger Schotterweg, seit vier Jahren asphaltiert, beschrieb einen Halbkreis und stieß in Höhe des Gutshauses wieder auf die Dorfstraße. Auf der Verkehrsinsel stand eine alte Friedenseiche, 1871 gepflanzt, mit einer verwitterten Bank davor. Wenn es nach dem Wurstfabrikanten Wilhelm Weber ginge, würde hier demnächst ein Brunnen mit der Plastik eines Schweines errichtet, aus dessen Schnauze eine Fontäne kommen sollte. Zum Glück konnte sich der wahrscheinlich reichste Dorfbewohner mit seinen geschmacklosen Verschönerungsplänen nicht immer durchsetzen. Schon der moderne Bungalow des Wurstfabrikanten war dem Arzt – und nicht nur ihm – ein Dorn im Auge, hatte ihn Wilhelm Weber doch mit einem Vordach versehen, das von fünf griechischen Säulen getragen wurde. Der Hund umrundete die Friedenseiche und urinierte an ihren Stamm.
    »Trivial.« Der Arzt schüttelte den Kopf.
    »Was?« kam es von der knarrenden Untersuchungsliege.
    »Der Hund.« Wie hatte man einem so mächtigen Tier einen solchen Namen geben können: Trivial! Der Pastor behauptete, der Hund hätte eines Tages in seinem Garten gesessen und ihn angeschaut, und aus irgendeinem unerklärlichen Grund sei ihm dieser Begriff durch den Kopf gegangen. Trivial! (So etwas ging einem gesunden Menschen angesichts eines Hundes nicht durch den Kopf!) Niemand wußte, woher der Hund kam. Nachforschungen und eine Kleinanzeige im ›Weinsteiner Boten‹ waren ohne Ergebnis geblieben. Das große Tier hatte sofort auf diesen seltsamen Namen gehört und den Pastor als seinen Herrn anerkannt, obwohl der Geistliche sich wenig um den Hund bemühte. Trivial trottete den ganzen Tag durch das Dorf und die Feldwege entlang, sah den Bauern bei der Arbeit zu und kam nur zum Fressen und Schlafen zum Pastor zurück.
    »Der bringt Glück«, sagte der Bauer.
    »Ich weiß.« Der Arzt wandte sich endlich vom Fenster ab und ging zu seinem Patienten, der mit nacktem Oberkörper, kräftigen Armen und Schultern, aber eingefallener Brust und kugelförmigem Bauch auf der Liege saß. Ein abgearbeiteter Körper. Der Bauer war – wie der Arzt – ein Außenseiter, einer von den wirklich Fleißigen im Dorf. Die meisten Herzensacher waren faul, und manchmal fragte sich der Arzt, wie sie existieren konnten. Er betrachtete die Rippen und die faltige Haut darüber. Er fürchtete, sein Aussehen werde sich im Lauf der Jahre ebenso verändern. Hunde waren da anders. Wie alt mochte Trivial sein?
    Der Bauer trug nur noch seine Hose, hielt sie mit den Händen fest. Die derben Schuhe hatte er abgestreift. Sie lagen schräg unter der Liege, und Doktor Andree kräuselte leicht die Nase. Der Bauer war in Kuhmist getreten.
    »Trivial«, murmelte der Arzt. Der Hund hatte sich zum Maskottchen der Herzensacher entwickelt. Sonntags zum Gottesdienst saß er regelmäßig vor dem Kirchenportal und wartete. Anfangs hatten die Kirchenbesucher ihn beim Verlassen der Kirche heimlich berührt, heute tat es jeder ganz offen, strich dem Tier mit Daumen und Zeigefinger über die Kante des Ohrs. Trivial ließ es sich gefallen, schien sogar deshalb vor der Kirche zu sitzen. An dem Aberglauben, sich durch diese Handlung ein Leben in Sicherheit und Glück zu verschaffen, war der Arzt nicht ganz schuldlos. Mit vier Jahren hatte sich seine Tochter Anne bei einem Spaziergang durch den Ort von seiner Hand losgerissen, war auf die Straße gelaufen, gerade in jenem Moment, als ein Lastwagen aus Weinstein mit überhöhter Geschwindigkeit die Herzensacher Dorfstraße entlangdonnerte. Trivial war mit einem Satz hinter Anne hergesprungen, hatte die Träger ihrer Spielhose geschnappt und sie davor bewahrt, überfahren zu werden.
    Unruhig ging Doktor Bernhard Andree zum Fenster zurück. Dort,

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