Herzflattern im Duett
sehen, aber sie hatte dennoch eine schlechte Vorahnung. Meistens hatte sie mit ihren Vorahnungen recht.
Die Reklamation
D ie Sonne war vor wenigen Stunden über Bindburg aufgegangen. Die Tauben auf dem Dach des Rathauses putzten ihr Gefieder. Auf der Haupteinkaufsstraße fuhr eine Kehrmaschine. Aus den Bäckerläden strömten warmes Licht und köstliche Gerüche. Menschen eilten mit verschlafenen Gesichtern und prall gefüllten Bäckertüten durch die Stadt. Auf dem Jahrmarkt öffnete Waffelwerner gerade seine Bude. Er ließ seinen Blick über den menschenleeren Jahrmarktsplatz schweifen. Seine Konkurrenz, die Heiße Mizzi, schlief offenbar noch. Pistolen-Paule stemmte gerade den Bretterverschlag von seinem Schießstand auf. Beim Star Express schloss Ottmar Schlotzer das Kassenhäuschen auf. Gesine Schlotzer war seit ein paar Tagen verschwunden. Noch nicht einmal ihr Kreuzworträtselheft hatte sie zurückgelassen. Waffelwerner sah traurig zum Kassenhäuschen, in das sich Ottmar Schlotzer gerade hineinzwängte. Er hätte Gesine gerne einmal auf eine Waffel eingeladen. Nun war sie weg. Samt Strickjacke und Kreuzworträtselheft.
Waffelwerner wollte sich gerade seinem Waffeleisen zuwenden, als er den Kies knirschen hörte und vier Gestalten über den Jahrmarktsplatz eilen sah. Es waren drei Mädchen und ein Junge. Ein Mädchen hatte lange blonde Haare, das andere eine schwarze Stachelhaarfrisur und das dritte rotbraune Haare, die unter einem grauen spitzen Hut hervorquollen. Der Junge hatte halblange dunkle Haare und konnte kaum mit den Mädchen Schritt halten.
Waffelwerner war sich sicher, dass er die Kinder schon einmal irgendwo gesehen hatte. Waren sie Fernsehstars und spielten in einer Soap mit? Oder zählten sie zu den Scharen von Neffen und Nichten des Geisterbahnbetreibers? Waffelwerner kratzte sich am Kopf. Er runzelte die Stirn. Er wusste es nicht. Nachdenklich sah er den Kindern nach, die mit schnellen Schritten auf das Orakulum Spektakulum zugingen.
Silvania, Daka, Helene und Ludo traten durch den mittleren, sandsteinfarbenen Bogen, der den Eingang des Orakulum Spektakulum bildete.
»Vielleicht ist Ali Bin Schick noch gar nicht wach«, sagte Ludo und unterdrückte ein Gähnen. Die Zwillinge hatten ihn, genau wie Helene, mit einer Brieffledermaus aus dem Bett geholt. Sie hatten beschlossen, dass es in ihrem verwunschenen Zustand besser war, mit Begleitung auf den Jahrmarkt zu gehen und die Reklamation vorzubringen. Außerdem konnten sie Silvania zu dritt vielleicht unter Kontrolle bekommen, sollte sie trotz des blutreichen Frühstücks eine Heißhungerattacke überkommen.
»Gumox«, meinte Daka. »Jemand, der Weissagungen und Wünsche anbietet, muss rund um die Uhr geöffnet haben.«
»Außerdem brennt doch Licht«, sagte Silvania, schob den orangegelben Vorhang aus Glitzersteinen zur Seite und betrat den Raum, in dem sie Ali Bin Schick vor ein paar Tagen ihre Wünsche anvertraut hatten. Was, wie sie jetzt wussten, ein fataler Fehler gewesen war.
Noch immer lag ein schwerer, süßlicher Geruch in der Luft. Die leise, fremdländische Musik, die sie damals empfangen hatte, war jedoch verklungen. Die vier Freunde betraten den weichen, orientalischen Teppich und sahen sich um. Die vielen Kissen, die damals auf dem Teppich verstreut lagen, waren jetzt ordentlich in einer Ecke gestapelt. Der ausgestopfte Tiger war verschwunden.
Vor dem weißen Vorhang am hinteren Ende des Raums saß ein kleiner, schlanker Mann mit einer Brille. Er hatte einen schwarzen Ordner auf den Knien und fuhr mit einem Stift eine Reihe von Zahlen entlang. Daka stieß mit einem Haarstachel an ein Mobile, das daraufhin zu klimpern anfing. Der Mann blickte auf. »Wir haben noch geschlossen. Weissagungen und Wünsche gibt es erst ab 10 Uhr.« Der Mann wandte sich wieder den Zahlenreihen zu.
Die vier Freunde sahen sich fragend an. Daka räusperte sich. »Wir wollen keine Weissagungen und Wünsche. Wir sind hier, weil wir eine Reklamation vorzubringen haben.«
Der Mann blickte auf und ließ den Stift sinken. »Eine Reklamation?«
Die vier Freunde sahen den Mann an und nickten.
»Was denn für eine Reklamation? Bei mir? Das hat es noch nie gegeben. In 25 Jahren hat es das noch nie gegeben!« Der Mann war aufgestanden und auf die vier Freunde zugelaufen.
»Wir wollen zwei Wünsche reklamieren«, erklärte Silvania.
»Wünsche? So, so«, sagte der Mann und kniff sich ins Kinn. »Nicht in Erfüllung gegangen, was?«
»Doch. In Erfüllung
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