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Herzklopfen für Anfänger

Herzklopfen für Anfänger

Titel: Herzklopfen für Anfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynne Barrett-Lee
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Heimfahrt nicht zu beeilen.
    Als es zehn wurde und ich dösend auf dem Sofa lag, beschloss meine Mutter, das Heft in die Hand zu nehmen.
    »Du kannst heute Nacht bei mir schlafen«, sagte sie fest. »Das Bett für dich ist schnell gemacht, und es hat doch keinen Zweck, in ein leeres Haus zurückzufahren, oder? Und morgen früh wecke ich dich.«
    Ich dachte daran, dass sie mir bestimmt eins ihrer Baumwollnachthemden leihen würde. Oder wie schön es wäre, morgen früh aufzuwachen und sie in der Küche zu hören. Dem schrecklichen Radiosender zu lauschen, den sie so gern hörte. Wie sie mir eine Tasse Tee ans Bett brachte und einen Vollkornkeks. Ich dachte daran, wie gern ich wieder ihr kleines Mädchen wäre.
    Wenigstens für eine Nacht. Es würde sich sicher anfühlen. Normal. Beruhigend.
    Und so blieben Merlin und ich da.

31
    Es gibt viele sichere, normale und beruhigende Dinge, die man tun kann, wenn man an gebrochenem Herzen leidet. Eins davon ist die Beschäftigung mit Vorhängen. Warum war ich darauf noch nie gekommen? Warum war mir nie aufgefallen, dass vernünftige, zuverlässige Menschen – wie Briony – nur deshalb nicht außer Kontrolle gerieten und sich in gefährliche Leidenschaften stürzten, weil sie etwas Vernünftiges taten und sich mit ihren Vorhängen beschäftigten?
    Das tue ich im Moment auch gerade. Genauer gesagt, mit den Vorhängen im Zimmer von Brionys Mum, da sie wirklich staubig sind und sie sie abnehmen musste. Und an diesem freudlosen Montagabend bat sie mich, ihr dabei zu helfen, sie wieder aufzuhängen. Sie hatte sich beim Abhängen das Handgelenk verstaucht, was darauf hindeutet, dass die Vorhänge nicht so ganz ohne sind.
    Im Zimmer von Brionys Mum riecht es leicht süßlich. Kleine Spitzendeckchen liegen über jeder verfügbaren Oberfläche, und auf der Kommode aus dunklem Holz steht ein vergilbtes Familienfoto. Auf dem Nachttisch liegt eine Großdruckausgabe eines Liebesromans. Der Umschlag erinnert an eine Zeit, in der Frauen die Treppen vor dem Haus fegten und genau wussten, was richtig oder falsch war.
    Ich frage mich, wann wohl meine Mutter sich dem Diktat des Alters beugen und aufhören wird, sich in Katastrophen verwickeln zu lassen. Aber dann stelle ich mir vor, wie sie im Gästezimmer über ihrem Stickrahmen sitzt, und schicke ein stummes Dankesgebet nach oben, dass das wahrscheinlich noch nicht so bald der Fall sein wird.
    »Es sind ihre Lungen«, erklärt Briony. »Ihr fehlt zwar nichts, aber Staub macht sie ganz nervös. Dad hatte ein Emphysem. Er hat sich das natürlich unter Tage zugezogen, aber das ist ihr einfach nicht beizubringen. Normalerweise würde ich die Gardinen nicht so oft waschen, aber sie wird total kribbelig, wenn ich es nicht tue. Und sie hängen ja auch schon seit einem halben Jahr.«
    Ein halbes Jahr? Meine Vorhänge habe ich seit sechs Jahren nicht mehr abgehängt. Ich muss wohl mehr auf meine Einrichtung achten. Die Pflege der Einrichtung könnte das neue Herzstück meines Lebens werden. Ich könnte die Teppiche mit dem Dampfreiniger säubern, die Bettüberwürfe könnte ich reinigen lassen, und ich könnte einen Tag lang farbige Bordüren um meine Kissen häkeln. Oh, und putzen könnte ich natürlich auch.
    »Ist alles okay?«, höre ich Briony jetzt sagen. »Sally?«
    Vorhänge. Genau, das ist das Richtige. Ich werde eine gute, zuverlässige Hausfrau. Denn wenn man mir mein Herz nimmt, was bleibt mir dann noch?
    »Staub«, stoße ich hervor. »Ich habe ein Staubkorn in die Augen bekommen. Komm, reich mir den Vorhang zu, dann hänge ich ihn auf.«
    Als wir ins Wohnzimmer kommen, sitzt Brionys Mutter im Dunkeln.
    Der Fernseher ist aus. Das einzige Licht im Zimmer dringt blass durch den schmalen Spalt der zugezogenen Vorhänge, die farblich mit den Sofas harmonieren.
    »Da war ein Geräusch«, verkündet sie mit bebender Stimme.
    Briony schaltet das Licht wieder an.
    »Ein Geräusch, Mum?«
    »Ich dachte, es käme vom Fernseher, deshalb habe ich ihn ausgeschaltet. Aber es hat trotzdem wieder angefangen. Das Licht ist es auch nicht.«
    Briony ergreift die Fernbedienung, die auf dem Schoß ihrer Mutter liegt, dann schaltete sie auch den Fernseher wieder ein. »Du verpasst dein Programm. Warum hast du mich nicht gerufen? Was für ein Geräusch?«
    Ihre Mutter schaut sie vorwurfsvoll an. »Ein Summen. Es hat mir nicht gefallen. Es hat aufgehört, aber dann hat es wieder angefangen.«
    »Eine Fliege?«, schlägt Briony vor.
    »Oder eine

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