Montana Creeds - Soweit die Sehnsucht trägt (German Edition)
1. KAPITEL
L as Vegas, Nevada
Er spürte schon den ganzen Tag, dass etwas noch nie dagewesenes geschehen würde – etwas, das sein Leben für immer verändern würde. Dieses Gefühl bescherte ihm ein Kribbeln im Bauch und sorgte dafür, dass sich die feinen Härchen in seinem Nacken aufrichteten. Dylan Creed saß in einem zwielichtigen Spielclub, seinem Lieblingsladen, und bestritt einen Poker-Marathon. Er hatte die leise Stimme in seinem Kopf die ganze Zeit über ignoriert; sie warnte ihn schließlich nicht vor einer realen Gefahr. Doch jetzt, da er nach einer Glückssträhne ein ganzes Bündel Geldscheine in seinen linken Stiefel steckte, da wusste Dylan: Er sollte besser auf diese Stimme hören.
Unten in Downtown tummelten sich entlang der Fremont Street Scharen von Besuchern. Sie waren umgeben von Sicherheitsleuten, die im Auftrag der riesigen Casinos auf sie achteten. Schließlich sollten die Gäste nicht von irgendwelchen Kriminellen ausgeraubt werden, bevor sie ihr Geld an den Spieltischen zurücklassen konnten. Cops waren dort ebenfalls unterwegs, und jeder Winkel wurde von Kameras überwacht. Hier dagegen, in der Black Rose Cowboy Bar, versammelten sich die hartgesottenen Pokerspieler, die den Glamour verabscheuten. Sie wurden in der schummrigen Gasse hinter der Bar von einer defekten Straßenlaterne, einem übervollen Müllcontainer, einer Handvoll rostiger alter Karren und einer Ratte von der Größe eines Waschbären empfangen.
Zwar ging Dylan einer gepflegten Prügelei nicht aus dem Weg – immerhin war er ein Creed. Dennoch musste sein Hinterkopf nicht unbedingt Bekanntschaft mit einem Stemmeisen machen, nur um dann um seinen Gewinn erleichtert zu werden. Der betrug heute Abend rund fünfzigtausend Dollar.
Er ging anscheinend lässig zu seinem Pick-up, einem Ford. Auf jemanden, der sich hinter dem Müllcontainer oder irgendwo in den Schatten versteckt hielt, musste er völlig arglos wirken. Jemand beobachtete ihn, dessen war Dylan sich jetzt ganz sicher, aber es ärgerte ihn mehr, als dass es ihn beunruhigte. Als mittlerer Sohn von Jake Creed wusste er bereits seit jungen Jahren, dass die Anwesenheit anderer Personen für eine aufgeladene Atmosphäre sorgte.
Vorsichtshalber griff er in seine alte Jeansjacke und legte die Finger um den Griff seiner 45er, die mit ihrem kurzen Lauf gut in die Innentasche passte. Bei seinen häufigen Ausflügen in die diversen Spielhöllen trug er sie immer bei sich. In Schuppen wie dem Black Rose tummelten sich schließlich nur Verlierer, Betrüger und Kartenhaie – und Dylan Creed fiel in die letztgenannte Kategorie.
Er war noch gut zwei Meter von seinem Truck entfernt, als er jemanden auf dem Beifahrersitz bemerkte. Einen Moment lang überlegte er, ob er seine Waffe oder lieber sein Handy aus der Jacke holen sollte. Und dann erkannte er Bonnie.
Bonnie.
Seine zweijährige Tochter stand auf dem Sitz und grinste ihn durch die Scheibe an.
Dylan machte einen Satz auf den Wagen zu und stieg ein, woraufhin ihm das Mädchen so schwungvoll um den Hals fiel, dass ihm der Hut vom Kopf rutschte.
Mit dem Ellbogen drückte er auf den Schalter für die Zentralverriegelung.
“Daddy!”, rief Bonnie. Zumindest hieß sie
für ihn
Bonnie. Ihre Mutter Sharlene hatte sie dagegen je nach Laune ein Dutzend Mal umgetauft.
“Hey, Süße”, erwiderte Dylan und lockerte seinen Griff um die Kleine, da er fürchtete, er könnte sie erdrücken. “Wo ist deine Mom?”
Bonnie sah ihn mit ihren riesigen blauen Augen an. Ihr kurzes blondes Haar lockte sich um ihre Ohren, und sie trug einen abgewetzten Overall und Flipflops.
Ich bin erst zwei
, schien ihre Miene zu sagen.
Woher soll ich wissen, wo meine Mom ist?
Dylan drehte sich um und öffnete das Seitenfenster, wobei er einen Arm um Bonnie gelegt hielt. “Sharlene!”, rief er über den dunklen Parkplatz.
Natürlich bekam er keine Antwort. Die erneute Veränderung in der Atmosphäre verriet ihm, dass seine Exfreundin längst das Weite gesucht hatte. Wieder einmal.
Nur dass sie diesmal Bonnie zurückgelassen hatte.
Er wollte fluchen, mit der Faust das Lenkrad traktieren, doch solche Dinge tat man nicht in der Gegenwart eines Kindes. Nicht, wenn man wie er und seine Brüder Logan und Tyler im Haushalt eines Alkoholikers aufgewachsen war und bei jedem lauten Geräusch erschrocken zusammenzuckte. Aber das war nicht der einzige Grund. Denn er verspürte zugleich eine seltsame, unterschwellige Begeisterung.
Dank Sharlenes
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