Herzschlagzeilen
rasierte sie sich ihre langen blonden Haare ab, färbte die verbliebenen Stoppeln schwarz und verkündete, jetzt lesbisch zu sein. Am schlimmsten hat es aber Chris aus unserer Klasse erwischt. Die hat sich Kevins Namen sogar auf den Unterarm tätowieren lassen. Heimlich. Ihre Eltern sind völlig ausgerastet, als sie das gesehen haben, und Kevin ist vier Wochen später sowieso mit seiner Familie in eine andere Stadt gezogen. Jetzt ranken sich die Buchstaben seines Vornamens als Blütenblätter getarnt um das neue Tattoo auf Chris’ Arm.
So etwas wird uns definitiv nie passieren. Das steht für Nina und mich fest.
Unser Motto lautet deshalb: Wenn ein Prinz mit einem weißen Pferd kommt, dann schnapp dir das Pferd und lass den Prinzen stehen.
»Na dann, lass deinen Helden nicht warten. Ich hab heute Nachmittag nichts vor. Sprechen wir uns später noch?«
»Klar – heute Abend bei Facebook. Ciao, und lass dich nicht ärgern.«
»Ich gebe mir Mühe.«
Ich drücke das Gespräch weg und betrachte das Chaos auf meinem Bett. Vielleicht ist Ninas Vorschlag ja doch nicht so schlecht. Wenn ich öffentlich behauptete, das alles absichtlich inszeniert zu haben, dann würde das der ganzen Katastrophe hier zumindest noch einen halbwegs seriösen Anstrich verleihen.
Wenn ich etwas unternehmen will, muss es allerdings gleich passieren. Die nächste Ausgabe der
Brennpunkt
erscheint viel zu spät. Mein Blick fällt auf mein Notebook. Wofür habe ich schließlich ein gut besuchtes Weblog? Die meisten Abonnenten von Kikis Vlog sind auch auf meinem Blog regelmäßige Leserinnen. Ein dezenter Hinweis darauf, dass diese Deko in meinem Zimmer ein reiner Testballon war, könnte mit Sicherheit nicht schaden.
Ich beschließe, noch heute Ninas Vorschlag aufzugreifen und einen kritischen Beitrag über Videorezensionen zu verfassen.
Dann raffe ich Kikis Zeug zusammen und schleppe es in ihre Zimmerhälfte, wo ich es mitten auf dem Teppich einfach fallen lasse. Aus den Augenwinkeln bemerke ich Edwards vorwurfsvollen Blick vom Poster herunter und kann es mir nicht verkneifen, ihm die Zunge rauszustrecken.
Als ich endlich wieder an meinem Schreibtisch sitze, logge ich mich erst mal bei Facebook ein, um nach ein paar weiteren aktuellen Themen für unsere Schülerzeitung zu suchen. Da Ninas Idee mit den Videorezensionen für die nächste Ausgabe ausscheidet, muss mir etwas Neues einfallen, denn uns fehlen auf jeden Fall noch zwei oder drei gute Artikel.
»Isa, was machst du da?«
Ich fahre herum. Papa.
»Schon mal was von Anklopfen gehört?«
Mein Vater versucht nicht einmal, schuldbewusst auszusehen.
»Sag mal, du sitzt doch nicht ernsthaft bei dem schönen Wetter den ganzen Tag vor dem Computer?«
Ich verdrehe die Augen. Erstens sitze ich erst seit einer halben Stunde hier, zweitens habe ich gerade einen interessanten Artikel gefunden und drittens ist heute Sonntag.
»Ich arbeite. Für die Schülerzeitung«, füge ich schnell hinzu, als ich den zweifelnden Blick meines Vaters sehe, der mir über die Schulter guckt.
»Schülerzeitung, hm? Bei Facebook. Mister Zuckerberg lässt grüßen.«
»Ja, ich suche nach aktuellen Themen.«
»Du weißt genau, dass ich es nicht gut finde, wenn du so viel auf dieser Seite postest.«
»Ich poste nicht, ich lese«, versuche ich einzuwenden. »Außerdem sind wirklich alle aus meiner Schule bei Facebook.«
»Und du weißt auch, dass ich es generell nicht gut finde, wenn du den ganzen Tag im Internet surfst.«
Manchmal kann mein Vater echt nerven.
»Papa, bitte, es ist Sonntag! Außerdem muss ich noch schnell einen Blogbeitrag schreiben.«
»Ein aktuelles Thema wäre das Geschirr in der Küche. Du bist dran, soweit ich weiß.«
»Was ist mit Kiki?«
»Deine Schwester und deine Mutter sind zum Buchladen gefahren. Das Schaufenster muss neu dekoriert werden und das geht sonntags nun mal am besten.«
Ich denke an die Lichterkette um meine Weltkarte und verdrehe die Augen. Jedenfalls weiß ich jetzt, wo Kiki steckt. Und ich weiß noch etwas: Wenn sie heute im Buchladen aushilft, wird sie spätestens morgen das nächste Video über irgendwelche Liebesromane drehen. Es wird also allerhöchste Zeit, meinen Blogbeitrag zu verfassen.
»Okay, ich komm gleich«, murmele ich ergeben und Papa verlässt das Zimmer.
Genervt starre ich auf den Monitor. Die Lust auf weitere Recherchen ist mir erst einmal vergangen. Reicht es nicht, dass mein Vater die ganze Woche über hier zu Hause rumhängt? Muss er auch
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